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Archiv-Artikel

Die Klagen der Künstler

INNENSENATOR ANGEZEIGT

Die Freiheit der Kunst, Missstände auch auf provokante Art anzuprangern, hat Henkel offenbar vergessen

„Entehrung von Mauertoten“, „am Opfergedenken versündigt“, „verabscheuungswürdig“: Wenn man den Kommentar von Innensenator Frank Henkel (CDU) im Tagesspiegel ein wenig schief hielt, tropfte Galle heraus.

Henkel war offenbar ziemlich wütend: auf die Aktivisten des Zentrums für Politische Schönheit, die sieben weiße Kreuze zum Gedenken an Maueropfer nahe des Reichstags abmontiert und an die europäischen Außengrenzen entführt hatten, um auf das Sterben an den Mauern Europas aufmerksam zu machen. Und weil Henkel so wütend war und in seinem Kommentar mit so harten Worten um sich warf, hat das Zentrum für Politische Schönheit ihn am Dienstag verklagt, unter anderem wegen „übler Nachrede“.

Zu Recht: Henkel ist als Innensenator oberster Dienstherr der Polizei. In dieser Funktion von Diebstahl zu sprechen und anschließend anzumerken, es sei „besonders bitter“, dass die „Komplizenschaft“ des Gorki-Theaters „offenbar mit Steuergeldern gefördert worden“ sei, ist vorverurteilend. Und kann durchaus auch als Drohung gegen das renommierte Theater verstanden werden – wobei jenes nach eigenen Angaben nichts von dem Plan der Aktivisten wusste, die Kreuze zu entführen.

Die Freiheit der Kunst, gesellschaftliche Missstände auch auf provokante Art anzuprangern, hat Henkel in seiner Wut offenbar vergessen. Ebenso wie den Sinn der Aktion: dass es nicht einfach um das Stehlen von Kreuzen ging, sondern darum, das aktuelle Sterben an Grenzen anzuprangern. Das kommt in seinem Kommentar nicht mit einem einzigen Wort vor.

Das Besorgniserregendste an der ganzen Sache ist aber, dass die Aktivisten ihre Anzeige nicht in Berlin gestellt haben, sondern in Potsdam: aus Angst, dass die Berliner Staatsanwaltschaft sich nicht an den Berliner Innensenator rantraut. Und egal ob diese Vermutung begründet ist oder nicht: Allein die Tatsache, dass sich Künstler solcherlei Sorgen machen müssen, ist beschämend. LAURA MESCHEDE