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Archiv-Artikel

Medienclinch

Hinter den Medienkulissen läuft ein harter Kampf zwischen großen Zeitungsverlagen, allen voran Springer, und den öffentlich-rechtlichen Sendern. Anlass sind die Internetangebote von ARD und ZDF. Dürfen sich die Öffentlich-Rechtlichen jetzt einer ausnehmend fürsorglichen Thematisierung durch die Springer-Presse erfreuen? Ein Szenario

von Rainer Nübel

Der Konflikt schwelt seit Längerem. Deutsche Zeitungsverlage wittern eine ungebührliche Internet-Expansion der öffentlich-rechtlichen Sender – und damit, wie sie meinen, eklatante Wettbewerbsnachteile für die Printmedien. Mitunter gingen deswegen schon Politiker in die Bütt und bezogen Position. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger etwa stellte sich – in einem Printinterview, versteht sich – vor die Zeitungsverlage wie weiland Winnetou vor Old Shatterhand, als der böse Fiesling Sander den Finger am Abzug hatte.

Inzwischen ist der Ton auf beiden Seiten bemerkenswert rau geworden. Konkreter Anlass ist die Tagesschau-App, die bisher von 1,7 Millionen Menschen genutzt wird. Die neue Applikation macht es möglich, dass die Internetseite tagesschau.de auf mobilen Empfangsgeräten wie Smartphone oder Tablet-PC verfügbar ist. Dieses Zusatzangebot sei kostenlos, schimpfen Zeitungsverleger verärgert, die bekanntlich nicht auf staatliche Rundfunkgebühren zurückgreifen können wie die ARD, sondern wirtschaftlich maßgeblich von Abos und Anzeigen leben.

Wobei beide Einnahmequellen in den vergangenen Jahren deutlich dünner geworden sind – und damit die ehemals opulenten Gewinne und Renditen. Die Printmedien laborieren an einer wirtschaftlichen Krise, was den Konflikt mit den Öffentlich-Rechtlichen so richtig anheizt. Man könnte auch sagen: sie ist der eigentliche Grund und Hintergrund für die Attacken vornehmlich gegen die ARD.

Die Tagesschau-App, ein Killer für die Presse

Die Tagesschau-App sei „ein Killer für ein digitales Geschäftsmodell der Presse“, wetterte kürzlich Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Und es handele sich um ein „staatlich finanziertes Presseprodukt“. Der Programmchef der ARD, Volker Herres, griff in seiner Replik tief in die Ironie-Kiste: Auch wenn das Kerngeschäft weiterhin Radio und Fernsehen bleibe, „werden wir doch bei den programmbegleitenden Angeboten am Gebrauch von Buchstaben nicht völlig vorbeikommen können“.

Die amtierende ARD-Chefin Monika Piel legte Wert auf die Feststellung, dass die Tagesschau-App kein Geschäft kaputt mache. Und schon gar nicht sei die App kostenlos: „Unsere Internetangebote sind nicht kostenlos. Die Gebührenzahler haben mit ihren Gebühren auch das Internetangebot bezahlt.“ Und dann beliebte Frau Piel zu keilen: „Wenn die Lage nicht wirklich für einige Zeitungen so ernst wäre, wäre es wirklich fast lächerlich, wenn man diese Argumente liest, warum die Tagesschau-App die Verlage in die Knie und in die Existenzgefährdung drängt.“

Es ist keineswegs nur eine Auseinandersetzung der wilden Worte, sondern ein veritabler Rechtsstreit. Acht Verlage klagen gegen die ARD und den Norddeutschen Rundfunk (NDR), wg. App. Ihre juristische Argumentation: Im Rundfunk-Staatsvertrag sei festgelegt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine Zeitungen herausgeben dürfe, auch nicht im Internet.

Unter den Klägern findet sich der auflagenstärkste, damit mächtigste Verlag: der Springer-Konzern. Und die anderen im Bundesverband versammelten Verlage, so Hauptgeschäftsführer Wolff, würden diese Klage unterstützen. Eine richtige Front. Mit beachtlichen Koalitionen. Und ganz vorne, quasi als Speerspitze, steht Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner. Der forderte – im Großinterview mit der Süddeutschen Zeitung – den Rückzug der öffentlich-rechtlichen Sender aus mobilen Internetanwendungen.

Wenn das kein klassischer Konflikt ist, auf medialem Terrain. Die sprachsensibel-zurückhaltenden Freunde vom Boulevard würden vermutlich sogar von Krieg reden. Und der Mediennutzer dürfte sich interessiert fragen: Was werden darin die Strategien sein, die taktischen Manöver? Spielen wir, einfach mal so, ein Szenario durch: Die Chefetage des Springer Verlages will die Öffentlich-Rechtlichen Mores lehren und beschließt, Attacken gegen die ARD zu reiten.

Und, wenn man schon mal dabei ist, auch gleich gegen das ZDF. Da eine verlagspolitische Motivation anrüchig, ja gar skandalös anmuten könnte, sollte die Aktion, pfiffigerweise, rein journalistisch daherkommen. Es geht – vordergründig – darum, den öffentlich-rechtlichen Sendern kritisch auf die Finger zu schauen. Oder zu klopfen, wie man's will. Investigativ, sozusagen. Immerhin boten und bieten ARD und ZDF immer wieder genügend Angriffsflächen. Man denke nur an Schleichwerbung in Vorabendserien im Ersten.

Und es wäre doch gelacht, wenn man nicht neue, schwere Geschütze auffahren könnte. Quasi Sturmgeschütze des ganz und gar seriösen Boulevardjournalismus, wenn nicht sogar der Mediendemokratie. Zu diesem Zweck würden die Mittel geheiligt, davon hat der Konzern ja reichlich. Nehmen wir mal an, die Verlagsspitze macht so gut eine Million Euro locker. Es wird eine Sonderredaktion gebildet, sie residiert dort, wo das größte Know-how für solch seriös-sensible Projekte sitzt, bei der Zeitung mit den großen Buchstaben. Ein besonders gelungener Einfall wäre es, einen oder mehrere Springer-Reporter ins Team zu nehmen, die früher bei den Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet haben.

Jetzt müssten die Journalisten noch inhaltlich instruiert werden. Dazu könnte ein Papier erstellt werden, in dem die thematischen Großkomplexe des Frontalangriffs gelistet würden. Sagen wir mal, es bestünde aus zwei Seiten. Und es stünden, neben finanziellen, sprich: gebührenspezifischen Strukturfragen bei ARD und ZDF, auch Namen drauf. Günter Struve etwa, der ehemalige ARD-Programmchef, der jetzt noch ein Büro in Los Angeles haben soll.

Oder Guido Knopp, der Chefhistoriker beim ZDF. So, dann könnte die eigentliche Arbeit losgehen. Nehmen wir mal an, es wird, um im Sprachbild zu bleiben, ein Dauerfeuer eröffnet: Kaskaden an Fragen werden an die Öffentlich-Rechtlichen geschickt, zu den verschiedensten Bereichen. Zielführend wäre es, wenn am Ende umfangreich darüber berichtet werden könnte, dass Rundfunkgebühren verschleudert würden. Und wie. Was am Ende geradezu zwingend in eine Unterschriftenaktion für die Leser münden würde: gegen die unglaubliche Verschwendung von Gebührengeldern bei der ARD und/oder beim ZDF.

Man sollte es nicht glauben: Ein solches Szenario halten diverse Medieninsider für durchaus möglich. In der Hoffnung, eine prompte Entwarnung zu bekommen, wandten wir uns am Montag an den Axel-Springer-Verlag. Doch leider gab's bis zum Redaktionsschluss am Dienstag keine Reaktion aus Berlin.

Doch Szenarien, Denkmodelle haben ja etwas Gutes an sich: Man kann sie leicht überprüfen. Die Zukunft wird weisen, wie realitätsfremd sie sind. Oder nicht. Bild dir eine Meinung.