: taz-Zivilisation im Jenseits
PC-SPIEL „Civilization: Beyond Earth“ heißt die neueste Fortsetzung des Klassikers „Civilization“. Die taz hat versucht, nach den Regeln des Redaktionsstatuts mitzuspielen und ein Plätzchen für sich im All zu finden
■ Das Thema: Einmal im Monat wird an dieser Stelle ein neues oder auch ein älteres digitales Spiel vorgestellt.
■ Die Idee: Jedes Mal wird eine philosophische Idee oder eine politische Theorie mit dem Spiel verknüpft.
VON MAIK SÖHLER
Nach 218 Runden ist Schluss. Aus dem Osten hat die Slawische Föderation angegriffen und eine Stadt erobert. Unsere Hauptstadt Le Coeur wird indes von Polystralia attackiert und bei nur geringer Gegenwehr eingenommen. Das war’s mit dem Siedlungsprojekt taz, das im PC-Spiel „Civilization: Beyond Earth“ Franco-Iberia heißt (Umbenennung nicht möglich). 218 von 500 Runden unter widrigen Bedingungen überlebt – das ist nicht schlecht. Aber tot ist tot.
Die taz in einem Computerspiel? Dazu sind wohl ein paar Worte nötig. Die Idee war, das Redaktionsstatut der taz und, damit es nicht zu theoretisch wird, einige ihrer Kernthemen in der Ende Oktober erschienenen neuen Version der Spieleserie Civilization zur Grundlage zu machen. Darauf sollte dann eine eigene Zivilisation aufbauen.
Eins zu eins ist das taz-Redaktionsstatut nicht auf Civilization zu übertragen. Was online nur ein Link ist, umfasst ausgedruckt viereinhalb Seiten: ein System demokratischer Mitbestimmung, das Hierarchien zulässt, ihnen aber Kontrollinstanzen zur Seite stellt, die von vielen beeinflusst werden können. Zum Selbstverständnis gehören positive Begriffe wie „kritisch“, „Menschenrechte“, „Freiheit“, „demokratisch“, „diskutieren“ und „interkulturell“. Abgegrenzt werden sie von Begriffen wie „Mächtige“, „Diskriminierung“, „Stereotype“, „Konformismus“ und „Einflussnahme“. Hinzu kommen Themen, die seit Jahren ihren Platz im Redaktionsalltag finden: Ökologie, Minderheitenschutz, sexuelle Selbstbestimmung, ein freier Umgang mit Drogen etc. Aus beiden Bereichen haben wir uns bedient, um Franco-Iberia in „Beyond Earth“ so taz-ähnlich wie möglich zu gestalten.
Wer kein Spiel aus der Civilization-Reihe kennt, dem sei gesagt: Es handelt sich um ein rundenbasiertes Strategiespiel, das überwiegend am PC gespielt wird. Ziel des Spiels ist es, die Vorherrschaft auf der Erde (Civilization I bis V) oder auf anderen Planeten (Alpha Centauri, Beyond Earth) zu erringen. Dabei sind unterschiedliche Wege möglich: ökonomische, kulturelle, technologische, militärische. Da auch die Gegner und Welten variieren, verfügt Civilization über eine Vielfalt an Entwicklungsmöglichkeiten.
„Civilization: Beyond Earth“ beginnt so, als sei die Berichterstattung der taz-Ressorts Ausland und Ökologie + Wirtschaft zur Wirklichkeit geworden: Kriege, ökologische Katastrophen und Ressourcenraubbau haben aus der Erde einen Planeten gemacht, der kurz vor dem Kollaps steht. Die Überlebenden suchen sich Sponsoren und rüsten fünf Raumschiffe aus, die anderswo von vorn anfangen sollen. Ein Planet wird gefunden, und dort landet das taz-Raumschiff vor allen anderen – wie unrealistisch.
Die Anforderungen sind von Beginn an hoch: Eine Spielstufe muss gewählt, eine Stadt will gegründet und ausgebaut werden, weitere Städte sollen folgen. Es gibt Einheimische, von denen man so gut wie nichts weiß. Da sind Stoffe in der Umwelt („Miasma“), die unsere Erkundungs-, Bau- und Militärtrupps schwächen. Es muss entschieden werden, welcher „Affinität“ der eigene Entwicklungsweg folgen soll. „Affinitäten“ sind Leitmotive – zur Auswahl stehen „Reinheit“, „Vorherrschaft“ und „Harmonie“.
„Reinheit“. Das klingt nach NS-Rassenkunde und verstößt gegen etliche Paragrafen des taz-Statuts, insbesondere § 2.3, § 2.4, § 2.5, § 2.6, § 2.7, § 2.8 sowie § 3.2 und § 3.3. Auch bei „Vorherrschaft“ entdecken wir eklatante Verletzungen: Mit § 2.5, § 2.8, § 3.3, § 4.3, § 6.1, § 6.4, § 7.7, § 8.4 ist diese „Affinität“ nicht vereinbar. Wir wählen „Harmonie“.
Auch in der Anfangsübersicht zu erforschender Technologien disqualifizieren sich einige Forschungsgebiete von selbst: Genetisches Design und Chemie verstoßen zwar nicht gegen das Statut, kommen aber den taz-Kernthemen in die Quere. Wir wählen Habitat, dann Ökologie, später auch Alien-Ökologie und vertikale Landwirtschaft.
Ziel der taz-Strategie soll eine Welt sein, in der so demokratisch wie möglich regiert, so ökologisch und nachhaltig wie möglich produziert und so friedlich und diplomatisch wie möglich mit anderen interagiert wird. Eine Baukolonne wird losgeschickt, ebenso ein Erkunder und auch die erste Handelsverbindung entsteht rasch (§ 3.5; seltsam bleibt die Vorstellung, warum jemand mit dem taz-Rad durch miasmaverseuchte Gebiete fahren sollte oder warum Kleinkolonien den taz-Türstopper Sweety brauchen).
Da Bellizisten zur taz gehören (§ 2.5, § 3.2, § 3.3) wie lange Ladezeiten zu „Beyond Earth“, lassen wir auch eine Militäreinheit ausbilden. Es dauert nicht lange, bis alle Soldaten, Erkunder und Bautrupps tot und die Handelswege unterbrochen sind. Aliens, unter ihnen fiese Käfer und mächtige Würmer, scheinen unsere Gesten der demokratisch-ökologischen Interspeziesverständigung nicht zu verstehen. Neue Soldaten, Erkunder und Bautrupps müssen erzeugt werden. Das kostet viel Energie, die im Spiel als Geldersatz dient. Für Erkundungen und Stadtausbauarbeiten, die neue Energie einbringen würden, stehen die neuen Figuren nicht zur Verfügung. Denn sie sind Redaktionsräte und werden erst mal von ihrer Arbeit abgezogen, um an den weiteren Plänen mitzuwirken (§ 7.8).
■ Das Spiel: Civilization: Beyond Earth. 2K Games. Bisher nur für Windows-PC, Versionen für OS X und Linux sollen folgen.
■ Die Theorie: Redaktionsstatut der taz, taz.de/!114802
Die Diskussionen dauern lange, bis klar wird: weiter wie bisher, nur marginale Änderungen! Wir sind uns keines Fehlers bewusst, wir haben den Aliens unsere Ziele nur schlecht vermittelt. Neu ist: Die Bellizisten setzen einen zusätzlichen Trupp Soldaten durch, die Pazifisten einen Erkunder, für beide Stellen kommt die Chefredaktion auf (§ 6.2), den Bau einer neuen Stadt übernimmt der Verlag unter Beachtung von § 1.1–3. Der Handel entfällt. Die wichtigste Frage, ob Orbitaleinheiten, die in der Krise helfen könnten, aber wegen Fluglärm viel Protest hervorrufen (§ 2.2), nun endlich gestartet werden sollen, wird vertagt.
Dumm auch: Inzwischen sind die anderen vier Raumschiffe von der Erde gelandet, sie haben Städte gegründet, die Umgebung erkundet, Aliens vertrieben, Technologien entwickelt, kulturelle Fortschritte gemacht und siedeln nun in unserer Nähe. Da wir den Handel eingestellt haben, kommen freundschaftliche Beziehungen kaum zustande.
Im Gegenteil: Ständig schicken sie Spione in unsere Städte, womit die „Intrigestufe“, in der taz ohnehin traditionell hoch, weiter steigt. Unsere Soldaten sind weit weg, verwickelt in Gefechten mit Aliens, die noch nicht mal ein Abo haben. Wieder müssen Bautrupps und Erkunder zurückgerufen werden, um das weitere Vorgehen zu beraten (§ 7.1, § 7.3, § 7.9). Aber dazu kommen sie nicht mehr, da die Slawische Föderation und Polystralia die Gunst der Stunde nutzen und die taz plattmachen.
Kurz noch kündet die Schönheit der vielen Biobrunnen vom vergänglichen taz-Ökotop, das ein Weltreich werden wollte. Dann ist Schluss.