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Archiv-Artikel

„Die Spree ist viel älter als Berlin“

Stefan Vens

„Ich bin weitsichtig. Ich habe eine Brille auf der Nase. Ich muss am Tag mindestens einmal zwei Kilometer gradeaus gucken können, ohne dass da ein Haus steht. Vom Wasser aus hat man einen anderen Blick“ „In der Innenstadt gibt es nur Berufsschifffahrt, also Fahrgast- und Frachtschiffe, und Freizeitkapitäne. Aber es gibt niemanden, der mit dem Boot zur Arbeit oder zum Einkaufen fährt. Und keine Wassertaxis“

Es ist nicht einfach, im Sommer ein Stündchen zu finden, um mit Stefan Vens an der Spree zu sitzen und auf die Schiffe zu schauen. Meistens ist er nämlich selbst an Bord – als Schiffsführer eines Fahrgastschiffs oder als Stadtbilderklärer. Ein ungewöhnlicher Job für einen Exhausbesetzer? Nein, meint der 39-Jährige, schließlich war er auch lange Zeit Schauspieler. Nun aber hat er die Spree zu seinem Beruf gemacht, auch weil er glaubt, dass man auf dem Wasser eine andere Stadt sieht. Inzwischen ist es aber auch auf der Spree eng geworden. Doch Vens meint, dass neben den Fahrgastschiffen, Sportbooten und Frachtern auch noch Wassertaxis auf den Fluss sollen.

INTERVIEW UWE RADA

taz: Herr Vens, Kaiser Wilhelm der Zweite war …

Stefan Vens: … der letzte deutsche Kaiser. Er regierte von 1888 bis 1918.

Und Friedrich der Große?

Friedrich der Große war ein Alter Fritz. Wegen dem werden die Deutschen in der ganzen Welt „Fritz“ genannt.

Ganz schön viel preußisches Herrschaftswissen für einen ehemaligen Hausbesetzer.

Die prägenden Einflüsse der preußischen Könige und Kaiser lassen sich nicht leugnen. In jeder Familie meiner Großeltern gab es einen Wilhelm und eine Wilhelmine.

Jetzt müssen wir kurz unterbrechen. Wir sitzen hier an der Spree in der Strandbar im Monbijoupark, und just in diesem Augenblick tuckert die „Adele“ vorbei.

Auf der bin ich häufig als Rundfahrtenmoderator tätig. Die „Adele“ wurde 2004 von der Reederei BWTS in Dienst gestellt und war das erste Fahrtgastschiff mit aufschiebbarem Glasdach.

Wie wird man vom Hausbesetzer und Schauspieler zum Stadtbilderklärer und Binnenschifffahrtskapitän, der zudem alle Schiffe auf den Berliner Gewässern herunterbeten kann?

Auf Fahrgastschiffen Rundfahrten zu moderieren, ist für mich erst mal ein Job gewesen. Ich fand diesen Job interessant, weil ich da gewisse Dinge, die ich in meiner Ausbildung zum Schauspieler gelernt habe, anwenden konnte. Aber es war klar: Das Schiff ist der Job, und das Theater ist das Leben.

Jetzt ist der Job ein Beruf.

Ein bisschen sogar der Lebensinhalt. Aber darüber bin ich nicht unglücklich. Schließlich habe ich auch erfahren müssen, dass du im Theater viel investierst, aber wenig zurückbekommst. So war es konsequent, irgendwann auch das Binnenschifffahrtspatent zu machen.

Warum gerade das Wasser? Sie könnten Berlin ja auch in der Auguststraße erklären oder durchs wilde Kreuzberg führen.

Ich glaube, ohne das Wasser wäre ich nicht mehr in Berlin.

Das klingt nach einer Liebeserklärung.

Ich bin weitsichtig. Ich habe eine Brille auf der Nase. Ich muss am Tag mindestens einmal zwei Kilometer gradeaus gucken können, ohne dass da ein Haus steht. Vom Wasser aus hat man diesen Blick, einen Blick, der nicht von Straßen geprägt ist. Und was noch hinzukommt: Der Verkehr ist viel langsamer.

Vom Wasser aus blicken Sie auf eine andere Stadt und erkennen sich selbst?

Die Spree ist alt, sie fließt hier seit hunderttausenden, vielleicht Millionen von Jahren. Die Spree ist mit Abstand das Älteste, was es in dieser Stadt gibt, älter als die Bäume oder die Gebäude. Das finde ich sehr beruhigend.

Jetzt kommt die „Spree-Comtess“ vorbei.

Die „Spree-Comtess“ gehört zur Reederei Riedel. Sie ist ein klassischer Zweidecker, Oberdeck, Unterdeck. Sie ist 43 Meter lang, 7 Meter breit, 330 Personen maximal, und fährt die Strecke Spree–Landwehrkanal.

Wann haben Sie die Spree zum ersten Mal bewusst wahrgenommen?

Das war kurz nach dem Mauerfall, als ich mit meinen Eltern eine Spree-Landwehrkanal-Tour gemacht habe.

Da war die Spree schon nicht mehr der Fluss der geteilten Stadt.

Das habe ich leider nicht erlebt, aber viele Leute haben mir erzählt, wie das gewesen sein muss. Teilweise verlief die Grenze ja auf dem Fluss. Zwischen Reichstag und Elsenbrücke war kein einziges Fahrgastschiff unterwegs. Nur die Frachter fuhren auf dem Fluss, gefolgt von einem Grenzkontrollboot. Die Wassergrenze war nicht weit von hier, kurz vor dem Reichstag.

Mittlerweile kann man ja sagen: Die Fahrgastschifffahrt auf der Spree boomt. So beschaulich, wie Sie es schildern, ist es nicht mehr.

Stimmt. Im Moment bieten alleine 30 Schiffe in der Innenstadt die einstündigen Stadtrundfahrten an. Dann ist es voll. Dann sieht man hier, wenn man an der Spree sitzt, Schiff an Schiff fahren.

So wie die „Oranje Nassau“.

Das ist ein original Amsterdamer Grachtenboot. Seit 1999 ist es in Diensten der Reederei BWTS. Sie macht einstündige Rundfahrten ab Zeughaus. Auf der war ich jahrelang tätig, und für die Firma arbeite ich bis heute.

Gibt es manchmal auch Staus auf der Wasserstraße?

Wenn am Wochenende alle Schiffe gleichzeitig im Einsatz sind, womöglich noch ein Frachter oder ein Schubverband oder ein beladener Frachter langsam zu Berg fährt …

und ein paar Freizeitkapitäne die Orientierung verloren haben …

… dann kann es eng werden. Dann kriegen auch die Fahrgastschiffe, die ja einen bestimmten Fahrplan bedienen müssen, Schwierigkeiten.

In richtigen Wasserstädten wie Venedig ist viel mehr los auf dem Wasser.

Völlig richtig. In der Innenstadt gibt es nur Berufsschiffahrt, also Fahrgast- und Frachtschiffe, und Freizeitkapitäne. Aber es gibt niemanden, der mit dem Boot zur Arbeit oder zum Einkaufen fährt. Und keine Wassertaxis.

Warum nicht?

Nach der Wende hat das Wasser- und Schifffahrtsamt zwischen Mühlendamm und Reichstag sechs Fahrgastreedereien Anlegestellen genehmigt. Die wollen sich das Geschäft nicht verderben lassen und verhindern den Bau neuer Anleger. Sie argumentieren, dass die Taxen, wenn sie effektiv sind, noch schneller fahren müssten als die Fahrgastschiffe. Das wäre wie in Bangkok.

Eine schöne Vorstellung.

Aber nicht ganz richtig. Schließlich könnte man – wie schon nach der Wende überlegt – den Spreekanal, der auf der anderen Seite der Museumsinsel fließt, für den Sportbootverkehr öffnen. Die Innenstadt und die Mühlendammschleuse wären entlastet. Es wäre doch toll, wenn sich Berlin zur Wasserstadt entwickeln würde.

Vor uns fährt der „Kaiser-Friedrich“.

Der „Kaiser-Friedrich“ ist ein Dampfschiff, welches auf Initiative des Deutschen Technikmuseums umgerüstet wurde. Dabei hat man den Kohlenbrenner rausgenommen und zur Erzeugung des Dampfs einen Dieselbrenner eingebaut. Das ist sehr ineffektiv und führt zu einem hohen Dieselverbrauch. Das Einzige, was man hört, wenn das Schiff vorbeifährt, ist der Generator.

Ihre Stadtbilderklärung kommt ohne Performance und Kabarett nicht aus. Sie muten Ihrem Publikum ganz schön viel zu?

Ach was, die freuen sich. Viele Anekdoten habe ich ohnehin von den Gästen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel diese hier: In den Goldenen Zwanzigern gab’s in der Nähe der Weidendammer Brücke ein Straßencafé. Davor stand oft ein Stehgeiger, der unglaublich schlecht Geige spielte und die Cafégäste genervt hat. Eines Tages saß dort die berühmte Stummfilmschauspielerin Henny Porten und stritt mit ihrem Verlobten, weil der sich gerade von ihr trennen wollte. Irgendwann sprang Henny Porten auf und rief: „Wenn du dich von mir trennst, dann gehe ich ins Wasser!“ Da rief ihr ein Gast nach: „Henny, nimm den Stehgeiger mit!“ Im Prinzip gebe ich den Leuten mehr, als sie erwarten, dafür geben sie am Ende ein Trinkgeld.

Ist es nicht manchmal anstrengend, vier-, fünfmal am Tag das gleiche Programm abzuspulen?

Die ersten Minuten gehen noch. Aber spätestens wenn wir an der Museumsinsel angekommen sind, weiß ich: Jetzt musst du jedes Museum aufzählen, am besten noch die Baujahre, die Kunstwerke, die drin sind, das erfordert schon eine Menge Konzentration.

Für Berlin-Touristen mag das nett sein, für Berliner ist es bestenfalls Wiederholung. Warum gibt es kein Angebot für die Berliner: ganz still und leise über die Spree, ohne Stadtbilderklärung und Bespaßung.

Es ist nicht so, dass die Berliner nicht aufs Wasser kommen. Aber meistens haben sie ihren Berlinbesuch mit dabei. Viele sagen dann hinterher, sie hätten trotzdem noch was gelernt. Jetzt kommt übrigens der Eisbrecher hier vorbei. Der macht immer im Winter das Eis auf, wenn die Spree zugefroren ist.

Neben den eher hässlichen Fahrgastschiffen gibt es seit einiger Zeit auch wunderschöne, elegante Charterschiffe. Entsteht da eine Zweiklassen-Schifffahrt auf der Spree.

Ich würde sagen: Das Angebot wird erweitert. Beim Linienverkehr setzt man auf Masse, Charterfahrten gibt es in verschiedenen Preisklassen. Großartig ist für den Moderator: Er hat ein sehr homogenes Publikum vor sich. Neulich habe ich eine Hochzeitsgesellschaft gefahren. Wir sind zur Liebesinsel an der Südspitze der Halbinsel Stralau gefahren. Ich habe dort ein romantisches Gedicht gelesen und eine Schiffstrauung vorgenommen. Die hat zwar nur symbolische Bedeutung, aber die Leute stehen auf Rituale auf dem Wasser.

Haben Sie die Trauung in weißer Uniform und mit Mütze vollzogen?

Nein, die hat die Reederei noch nicht spendiert.

Womit wir bei den Arbeitsbedingungen wären. Die Fahrgastschifffahrt ist ein Saisongeschäft. Was treiben Sie und Ihre Kollegen im Winter?

Da sind die meisten arbeitslos. Bis letztes Jahr galt auch für uns noch die Saisonarbeiterregelung. Die ist jetzt weggefallen. Jetzt haben wir nur noch Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn wir insgesamt 12 Monate gearbeitet haben.

Und im Sommer?

Da geht es hart auf hart. Manche Kollegen haben nur einen Tag im Monat frei. Ich selbst hatte vor kurzem ein Angebot, ein Charterschiff als Schiffsführer zu übernehmen. Das hätte aber bedeutet, die ganze Saison auf Abruf zu stehen. Wenn das Schiff fährt, muss der Schiffsführer an Bord. Das ist so Tradition. Die Herausforderung war riesig, am Ende habe ich aber abgesagt. Ich hätte keine planbare Freizeit geschweige denn Urlaub mehr gehabt.

Am Freitag hat das Wasser- und Schifffahrtsamt beschlossen, den Landwehrkanal zu sperren. Was bedeutet das für die Fahrgastschifffahrt?

Das bedeutet, dass Arbeitsplätze gefährdet sind. Das Problem Landwehrkanal ist aber auch hausgemacht: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, und der Landwehrkanal wird so lange befahren, bis das Ufer einbricht. Bezirk und WSA haben sich jahrelang nicht drum gekümmert. Natürlich drücken die Bäume gegen die Ufermauer, aber die wachsen ja nicht von heute morgen.

Was macht der Wasserfreund Stefan Vens, wenn er keine Fahrgastschiffe fährt?

Da fährt er unter anderem ein Faltboot.

Würden Sie damit gerne auch auf der innerstädtischen Spree fahren.

Liebend gerne, zumal ich nicht weit von hier am Wasser wohne. Aber ich kann auch verstehen, dass die innerstädtische Spree für Kleinfahrzeuge ohne Motor oder Motor unter 5 PS verboten ist. Aber vielleicht gibt’s ja irgendwann hier eine Vogalonga wie auf dem Canale Grande in Venedig, ein Paddelbootrennen auf der Spree durch die Innenstadt.