: Ein US-Offizier packt aus
Ehemaliger „Richter“ in Guantánamo spricht von politischem Druck bei Verfahren. Entscheidungen über Einstufung zum „feindlichen Kämpfer“ oft ohne Beweise
SAN JUAN/WASHINGTON ap/afp Im US-Gefangenenlager Guantánamo sind Insassen nach Angaben eines Offiziers ohne stichhaltige Beweise und unter politischem Druck von oben zu „feindlichen Kämpfern“ erklärt worden. Mit der am Freitag veröffentlichten eidesstattlichen Erklärung von Oberstleutnant Stephen Abraham äußert sich zum ersten Mal ein an den „Tribunalen zur Feststellung des Kämpferstatus“ (CSRT) beteiligter Offizier über die Verfahren.
Abraham, ein 46-jähriger Reserveoffizier des Heeres mit 26 Jahren Erfahrung im Militärgeheimdienst, erklärte, die in den CSRT-Verfahren vorgelegten Beweise seien lediglich allgemeines Material ohne konkrete Beweise im Einzelfall. Abraham setzt sich mit seiner beim Obersten Gerichtshof abgegeben eidesstattlichen Erklärung für den kuwaitischen Guantánamo-Gefangenen Fausi al Odah ein, der sich gerichtlich gegen seine Einstufung als „feindlicher Kämpfer“ wehrt. Mit dieser Einstufung können Gefangene unbefristet inhaftiert werden.
Abraham erklärte, er habe als Hauptverbindungsoffizier zwischen den Tribunalen und den Geheimdiensten fungiert. Trotz wiederholter Anforderungen hätten es die Geheimdienste abgelehnt, konkrete Informationen zu geben, die einer der beiden Seiten in den Tribunalen nützlich hätte sein können. „Was als konkrete Tatsachenfeststellungen ausgegeben wurde, mangelte an fundamentalsten Kennzeichen objektiv glaubwürdiger Beweise“, sagte Abraham.
Ein Anwalt Odahs, David Cynamon, sagte, Abrahams Erklärung bestätige den Verdacht, dass die Tribunale „kompletter Betrug“ seien. Die US-Streitkräfte wiesen das zurück. „Der CSRT-Prozess ist fair, streng und robust“, sagte Korvettenkapitän Chito Peppler. In den Verhandlungen seien „Dialog und faktenbasierte Diskussion“ erwünscht.
In Abrahams Erklärung heißt es weiter, er habe an einem der Tribunale teilgenommen. Auf die drei Offiziere sei starker Druck ausgeübt worden, gegen den Gefangenen zu entscheiden. Wenn ein Gefangener nicht zum „feindlichen Kämpfer“ erklärt worden sei, sei das Tribunal einer „intensiven Überprüfung“ unterzogen worden. Als sein Tribunal entschied, der Gefangene sei kein feindlicher Kämpfer, wurde ihm befohlen, noch einmal zusammenzutreten, um mehr Beweise zu hören. Das Tribunal sei aber bei seiner Entscheidung geblieben. Er sei nicht wieder aufgefordert worden, an einem weiteren Verfahren teilzunehmen.
Die US-Regierung erwägt unterdessen offenbar die Schließung von Gunatánamo. Die Zukunft der derzeit 375 Insassen bleibt allerdings unklar. US-Präsident George W. Bush wolle das Lager bereits seit längerer Zeit schließen lassen und habe seine Mitarbeiter aufgefordert, darauf hin zu arbeiten, sagte Bushs Sprecherin Dana Perino am Freitag. Eine Entscheidung stehe aber nicht unmittelbar bevor.