: Balkan Short Cuts
EPISODENDRAMA In „Belgrad Radio Taxi“ erzählt Srdan Koljevic von Menschen, deren Schicksale sich durch den Sprung einer Frau von einer Brücke miteinander verbinden
VON WILFRIED HIPPEN
Die Geschichte vom Misanthropen, der plötzlich mit einem Kind dasteht, sich zuerst widerwillig um dieses zu kümmern beginnt und dadurch langsam aus seiner emotionellen Vereisung auftaut, wird im Kino immer wieder gerne erzählt. Wim Wenders gelang nach diesem Rezept mit „Alice in den Städten“ einer seiner schönsten Filme und der Tscheche Jan Sverák gewann mit „Kolya“ 1996 sogar einen Oscar. In dem serbischen Film „Belgrad Radio Taxi“ ist die Geschichte vom Taxifahrer Gavrilo, auf dessen Rücksitz eines Tages ein Baby liegen bleibt, während seine Mutter von einer Brücke in die Donau springt, nur einer von drei Erzählsträngen.
Aber er ist der einzige, der den Film wirklich trägt. Die anderen beiden wirken dagegen konstruiert und ihnen fehlt die dramatische Schubkraft, die die Hauptgeschichte auszeichnet. Regisseur Srdan Koljevic wollte hoch-ambitioniert so etwas wie eine serbische Antwort auf Robert Altmans Episoden-Klassiker „Short Cuts“ inszenieren: einen Film über das Belgrad von heute, in dem (so er selber) nach den Jahren „von Kriegen, Zerstörung und Hass“ nun durch „die Wiederentdeckung der Liebe“ die „Narben der Vergangenheit“ verheilen können.
Alles beginnt mit dem Sprung der jungen Frau von der Brücke. Durch ihn hat Gavrilo (der übrigens außer den Filmfiguren nie einen anderen, vielleicht sogar zahlenden Kunden zu kutschieren scheint) ungefragt das Kind in seiner Obhut, die Augenzeugin Anica ist geschockt, weil sie durch den Sprung an ein Trauma in ihrem eigenen Leben erinnert wird und Biljana, die die Frau ebenfalls springen sieht, wird plötzlich klar, dass sie ihren Verlobten nicht liebt und so steigt sie mitten auf der Brücke aus seinem Auto. Beide Frauen müssen mit dem Tod eines geliebten Menschen fertig werden, doch da diese Entwicklungen eher innerlich stattfinden, sind ihre Geschichten vergleichsweise statisch. Die Lehrerin wird von einem ihrer Schüler verfolgt, der ihren intensiven Blick falsch interpretiert und die Apothekerin Biljana beginnt eine Affäre mit einem Jugendfreund, der inzwischen Pope ist und zuhause eine hochschwangere Frau hat. Koljevic bemüht sich, auch diese Plots spannend und bewegend zu inszenieren, doch beim Wechsel zwischen den Episoden (die sich natürlich auch ironisch überkreuzen, sodass etwa Gavrilo später seine eigene Pistole auf sich selber gerichtet sieht) kann man da schon mal etwas ungeduldig werden, bis der Griesgram wieder mit seinem Baby auftaucht.
Diesen gibt Nebojsa Glogovac so grimmig, dass es schon wieder komisch ist. Dass er ein Flüchtling aus Bosnien ist, erkennt ein deutsches Publikum bei der synchronisierten Fassung leider erst sehr spät und es ist schon unfreiwillig komisch, wenn er ausgerechnet an seinem (durch bestes Hochdeutsch eingeebneten) Akzent erkannt wird. Doch all das verzeiht man dem Film, weil diese eine Geschichte so schön erzählt und gespielt wird.
Als eine erzählerische Klammer laufen übrigens im von den Filmfiguren ständig gehörten Radio die letzten Sendungen eines Belgrader Senders, der alte jugoslawische Popmusik spielt und nicht mehr als zeitgemäß angesehen wird. Ganz nebenbei bekommt man so die serbische Version des amerikanischen Evergreens „If I Were a Carpenter“ zu hören. Koljevic arbeitet gerne mit solchen Subtexten (die einen trinken ihren Kaffee aus Schalen, die andern aus Tassen), die seinen Film atmosphärisch reich wirken lassen, auch wenn die Bezüge für ein deutsches Publikum oft obskur bleiben.