: Küsten-Klamauk gegen Krebs
SCHMUTZIGER SPORT Fischtennis und Wattfußball: Zum achten Mal treten hunderte tapferer „Wattleten“ aus aller Welt bei der „Wattolümpiade“ bei Brunsbüttel für einen guten Zweck gegeneinander an. Einen Tag vorher findet zudem das Festival „Wattstock“ statt
VON ROBERT MATTHIES
Längst in Fleisch und Blut übergegangen ist ihm die Seele der Gezeitenküste. „Ebbe und Flut, das ist so das norddeutsche Yin und Yang“, sagt Jens Rusch alias „Dr. h. c. wattpsych Momme Mannüberbord“ vom „Wattpsychologischen Institut Brunsbüttel“, während zwei „Wattkampfleiter“ jenen Schlick in Dosen füllen, in dem sie selbst gerade knietief stecken. „1 Kilo Watt“ steht auf den Dosen, darunter ist eine Glühbirne abgebildet. Und der Erlös ist tatsächlich ein Lichtblick. Denn mit dem Krebs hat der Küsten-Klamauk in der Nähe des Atomkraftwerks nicht nur in Form von wattbewohnenden Gliederfüßlern zu tun: Das Geld, das die ehrenvollen Brunsbüttler Wattpsychologen mit dem Verkauf des Schlicks in Dosen bei der „Wattolümpiade“ verdienen, geht an Beratungsstellen der Krebsgesellschaft und kommt so Betroffenen der lebensbedrohlichen Krankheit zugute. Anarchischer Unsinn trifft auf norddeutsche Sturheit: ob Ebbe oder Flut – bloß niemals aufgeben.
Denn dass es im Leben ganz verschiedene Tiden gibt, hat Rusch am eigenen Leib erfahren müssen. Vor acht Jahren erkrankte der Künstler an Krebs und kam so auf die Idee, ein altes Steckenpferd auf professionelle Beine zu stellen. Schon in den 70ern nämlich hatte Rusch im heimischen Brunsbüttel einige Jahre lang die „Wattolümpiade“ veranstaltet, die der Schriftsteller und Künstler Hein Hoop 1972 erfunden hatte, um bei Katingsiel gegen den Bau des Eidersperrwerkes zu demonstrieren: Mit herkömmlichen Sportarten wie Wattfußball und traditionellen Küstendisziplinen wie Aalstaffellauf oder Gummistiefelweitwurf. Dann aber ging Rusch nach Spanien, um zu studieren und Künstler zu sein. 17 Jahre war er schließlich weg – und der wattolümpische Gedanke versandete.
Dann kam der Krebs und vor neun Jahren entstand in Brunsbüttel wieder ein „Olümpisches Dorf“. Seitdem verwandeln mittlerweile Hunderte tapferer „Wattleten“ aus dem In- und Ausland das Ufer der Elbmündung jedes Jahr in ein großes „Wattkampfgelände“ für albernen Sport, der auch ganz ohne Doping noch so richtig schmutzig ist – und trotz allem Spaß mit heiligem Ernst betrieben wird: Veranstaltet wird die Benefiz-Schlammschlacht und das angegliederte Musik-Festival „Wattstock“ seit sieben Jahren leidenschaftlich und gewissenhaft vom „Wattikan“, einem rund 20-köpfigen Komitee, das von einem „Wattrat“ geleitet wird, getreu dem gemeinsamen Motto: „Wir dürfen alles und müssen gar nichts!“
Wer mehr über den wattolümpischen Gedanken erfahren will, kann das übrigens auch im Kino tun: Der Brunsbütteler Drehbuchautor und Regisseur Frank D. Müller hat den hilfreichen Unsinn und die tiefsinnige Wattphilosophie, die dahintersteckt, in seiner Doku „meerkampf. watt?“ vor zwei Jahren behutsam und liebevoll auf Zelluloid gebannt. 100 Minuten lang erzählt Müller von Prielen und Muscheln, Fischtennisspielern und Teebeutelwerfern, Kunst und Krebs – und von gestressten Schafen nebst Schäfer. Aber auch der kann dem Deich-Spektakel am Ende doch Gutes abgewinnen: sein Bruder hat wie viele hier Leukämie.
Dieses Wochenende findet die Wattolümpiade zum achten Mal statt. Beim Wattstock-Festival sind am Samstag ab 15 Uhr unter anderem die hannoverschen Rocker Terry Hoax und Dirk Darmstaedter zu hören. Am Sonntag gibt es um 10 Uhr erst mal einen Deichschoppen und einen Wattgottesdienst, anschließend marschieren feierlich die internationalen Wattleten für die Eröffnungszeremonie ein. Und dann kann die surreale Schlammschlacht für die saubere Sache beginnen: schneller, höher, schlammiger!
■ Brunsbüttel: Sa, 23. 7 + So, 24. 7., Bi de Wurt; www.wattoluempia.de