Mehr als nur gegen Nazis

Gedenkdemonstration und kraftvolles Kiezspektakel in einem – wird die Erfolgsgeschichte der Silvio-Meier-Demo am Samstag fortgeschrieben?

■  Freitag, 21. November Mahnwache „Antifa heißt Kampf ums Ganze!“ 17 Uhr, U-Bahnhof Samariterstraße vor der Silvio-Meier-Gedenktafel ■  Samstag, 22. November „Marzahn in Nazihand? Organisierter Widerstand!“ 13 Uhr, Marzahn-Hellersdorf. Kommt in Gruppen. Treffpunkte werden kurzfristig unter http://akmh.blogsport.eu zu finden sein. Silvio-Meier-Demo, 18 Uhr, U-Bahnhof Samariterstraße

Transparente hängen von den Dächern, bengalische Feuer leuchten im Nachthimmel. Silvio-Meier-Demo, das heißt Ketten bilden und Feuerwerk schauen. So zeigt die linke Szene im eigenen Kiez Stärke. Rund 5.000 Menschen beteiligten sich daran in den letzten Jahren.

Einmal im Jahr treffen sich Antifas, politisch Aktive und viele Bewohner von Friedrichshain, um Silvio Meiers zu gedenken. Der Hausbesetzer, Antifaschist und DDR-Oppositionelle wurde am 21 November 1992 im Alter von 27 Jahren im U-Bahnhof Samariterstraße von einem Neonazi niedergestochen – ermordet, wie viele sagen.

1992 war das Jahr nach der Wende, in dem die Gewalt von Rechtsradikalen einen Höhepunkt erreicht hatte. Zwei Tage nach dem Tod von Silvio Meier griffen Neonazis in Mölln zwei Wohnhäuser mit Molotowcocktails an. Drei Menschen starben in den Flammen. Drei Monate zuvor wütete ein rechter Mob in Rostock-Lichtenhagen und steckte eine Flüchtlingsunterkunft in Brand. In Berlin verging zu Beginn der 90er Jahre kein Wochenende, an dem Hooligans und Neonazis nicht besetzte Häuser oder „links“ aussehende Menschen angriffen.

Die 22. Silvio-Meier-Demo fällt nun in eine Zeit, in der Rechtsradikale wieder Aufwind haben. Zeitgleich steckt die antifaschistische Bewegung in der Krise. Auch wenn sich das Gewaltpotenzial nicht mit 1992 vergleichen lässt, so geben die jüngsten Zahlen Anlass zur Sorge. Rechtsradikale Angriffe auf Flüchtlingsheime haben in diesem Jahr deutlich zugenommen. Das Bundeskriminalamt habe von Januar bis September bereits 86 Straftaten gegen Asylbewerberwohnheime gezählt, darunter Hakenkreuz-Schmierereien, eingeworfene Scheiben und Brandstiftung, wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet. Dies sind mehr Angriffe als in den Jahren 2012 und 2013 zusammengenommen. Außerdem kam es bereits zu rund 200 Demonstrationen gegen die Unterkünfte.

Solche häufen sich derweil auch in Berlin. Wie etwa am 8. November, als 400 Menschen in Köpenick gegen den Bau einer geplanten Flüchtlingsunterkunft protestierten, darunter auch viele bekannte Neonazis. An einer Gegendemonstration nahmen nach Polizeiangaben etwa 180 Personen teil. Am 10. November gingen in Marzahn-Hellersdorf 500 Rechte gegen eine Flüchtlingsunterkunft auf die Straße. Auch hier fielen die Gegenproteste mit 200 TeilnehmerInnen übersichtlich aus, wie die taz berichtete.

Das sind für Berlin ungewohnte Kräfteverhältnisse. Eine Erklärung ist sicher, dass die Antifa in der Krise steckt. Eine der mobilisierungsstärksten Gruppen, die Antifaschistische Linke Berlin (ALB), gab im September ihre Auflösung bekannt. Im Oktober folgte die Antifaschistische Revolutionäre Aktion (Arab), die mit der „Neuen antikapitalistischen Organisation“ (NaO) fusionierte. Bereits im Frühjahr hatte es in Berlin einen Kongress zur Krise der Antifa gegeben.

Am Samstag wird sich zeigen, ob sich diese Krise auch auf die Silvio-Meier-Demo auswirkt. „Antifa heißt Kampf ums Ganze“, lautet das diesjährige Motto. Wobei es sich um eine inhaltliche Aussage handelt: „Wir wollen in diesem Jahr zeigen, dass Antifa mehr ist als nur Nazis jagen“, sagt Stefan Schmidt, Pressesprecher des Silvio-Meier-Bündnisses. Weiter sagte Schmidt: „Antifaschismus muss immer antikapitalistisch sein und – egal ob im Betrieb oder im Stadtteil – die soziale Frage stellen.“

Das Antifaschismus mehr ist, als nur gegen Nazis zu sein, ist eigentlich nichts Neues, passt aber gut zum Gedenken an Silvio Meier. Der war vielseitig politisch aktiv und versuchte im Widerstand zur bestehenden Gesellschaft alternativ zu leben – weshalb er eben auch Antifaschist war. Auf der Silvio-Meier-Demo spielten schon immer viele politische Inhalte eine Rolle, auch wenn die Demo oft „nur“ als Antifa-Demo wahrgenommen wird. In diesem Jahr soll die Route von Friedrichshain nach Kreuzberg gehen, um sich dort mit einem Teil der aktuellen politischen Kämpfe in Berlin zu solidarisieren – mit den Kämpfen um Wohnraum und jene gegen rassistische Normalzustände, wie es im Aufruf heißt.

Ob die Solidarität auch noch bis Marzahn-Hellersdorf reicht, wird sich am Samstag zeigen. Der Beginn der Silvio-Meier-Demo wurde von 15 Uhr auf 18 Uhr verschoben, damit noch Zeit bleibt, gegen Neonazis und rechtslastige Bürger zu protestieren. Für Samstag rufen erneut drei rechte Gruppen zu einer Kundgebung nach Marzahn-Hellersdorf auf, um gegen „Asylmissbrauch“ und die dort geplanten Containerdörfer für Flüchtlinge zu demonstrieren. Vielleicht ein Gesamtprogramm, mit dem wieder mehr Antifaschisten zusammen und nach vorne kommen?

JÖRN ALEXANDER