Tot ohne Not

Bei einer Polizeikontrolle wird gestern früh in Hamburg ein Mann von einem Beamten von hinten erschossen. Selbst die Polizei sieht keine Notwehrsituation. Der Schütze wurde suspendiert, die Ermittlungen gegen ihn lauten auf fahrlässige Tötung

Grundsätzlich dürfen Polizisten ihre Waffe gegen Menschen richten, um ein Verbrechen zu verhindern und die Flucht eines potentiellen Straftäters zu vereiteln, sei es bei dessen Festnahme oder Flucht aus dem Gefängnis. Zweck des Schusswaffengebrauchs darf es nur sein, einen Straftäter angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ehe auf die Person gezielt wird, müssen alle anderen möglichen Maßnahmen gescheitert sein. Flieht ein mutmaßlicher Täter beispielsweise im Auto, müssen die Beamten auf die Autoreifen statt auf den Fahrer schießen. Für einen tödlichen Schuss gibt es im Gesetz eine Sonderregelung. Der zufolge ist er nur dann zulässig, wenn er „das einzige Mittel zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Lebensgefahr oder der unmittelbar bevorstehenden Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit“ ist. In den Fällen, in denen Polizisten das eigene Leben bedroht fühlen, können sie sich auf Notwehr berufen. Dabei sind an eine Notwehrreaktion von Polizisten sehr viel strengere Anforderungen zu stellen als an die einer Privatperson, da Polizisten für Extremsituationen ausgebildet. ee

Von Kai von Appen
und Sven-Michael Veit

Notwehr ist es nicht gewesen. „Darauf liegen keine Hinweise vor“, bestätigt Ralf Meyer, Sprecher der Hamburger Polizei. Die Ermittlungen liefen gestern Abend noch. Warum und wie ein 27-jähriger Rumäne gestern früh in seinem Renault mitten in der Hamburger Innenstadt durch einen Schuss aus der Dienstwaffe eines Zivilpolizisten getötet wurde, ist noch offen.

Der Schütze stehe „unter Schock“ und hätte noch nicht vernommen werden können, so Meyer. Weil „auf Grund der Gesamtumstände der Verdacht auf fahrlässige Tötung besteht, hat neben der Mordkommission auch das Dezernat für Interne Ermittlungen der Polizei die Bearbeitung übernommen.“

Das Opfer und sein 31-jähriger Beifahrer waren um 2.55 Uhr in unmittelbarer Nähe des Hamburger Rathauses von sieben Zivilbeamten in drei zivilen Autos gestoppt worden. Ein Wagen versuchte, in einer menschenleeren Nebenstraße den Renault abzudrängen. Der geriet auf die Gegenspur, ein zweites Auto mit Aufblendlicht kam ihm entgegen. Reifen quietschten, dann hielt der dritte Wagen hinter dem Renault. Mehrere Zivilpolizisten sprangen aus den Wagen und zogen ihre Dienstwaffen, „Halt Polizei“ wurde gerufen.

Ein 50-jähriger Beamter trat mit gezogener Waffe von hinten an das eingekeilte Fahrzeug heran, plötzlich fiel ein Schuss. Die Kugel durchschlug das hintere rechte Seitenfenster und verletzte den Fahrer so schwer, dass er wenig später noch am Tatort starb. Reanimierungsversuche blieben erfolglos. Der zweite Mann blieb unverletzt und wurde festgenommen.

Eine Kontrolle mit gezogener Waffe ist nach Angaben der Polizei durchaus üblich. „Gerade nachts und im Zusammenhang mit Tatverdächtigen ist das zur Eigensicherung sogar vorgesehen“, sagte Polizeisprecher Meyer. Daraus könne dem Beamten kein Vorwurf gemacht werden: „Der tragische Knackpunkt ist, dass sich ein Schuss gelöst hat.“

Wie es dazu kam, wird jetzt untersucht. Denkbar sei ein Handhabungsfehler. „Oder es wurde angenommen, der Wagen will sich entfernen“, spekulierte Meyer. Einer der Beamten habe ausgesagt, das Auto habe sich zum Zeitpunkt des Schusses „nach vorn bewegt“.

Über eine Stunde lang hatten die Beamten den Renault mit britischem Kennzeichen zuvor observiert. Die beiden Insassen wurden dabei beobachtet, wie sie mehrere Bankautomaten „manipulierten“. Schließlich entschieden die Polizisten sich zum Eingreifen. Im Auto etwa 700 Euro und mehrere gefälschte EC-Karten sichergestellt. „Die Geldscheine waren relativ glatt gebügelt, so dass wir davon ausgehen, dass sie aus einem der Geldautomaten stammen“, erklärte Meyer. Der Verdacht auf Straftaten war also wahrscheinlich gerechtfertig gewesen.

Der Schütze gilt als „sehr erfahrener“ Beamter, heißt es offiziell. Das wurde der taz aus Kreisen der Mordkommission bestätigt: „Ein erfahrener Kollege“, sagte ein Ermittler, „der ballert nicht einfach umher.“ Entweder habe sich der Schuss ungewollt gelöst, oder der Beamte sei in der Situation überfordert gewesen.

In so einem solchen Milieu sei „die Anspannung manchmal sehr hoch“, auch wenn es strafrechtlich um Bagatellen gehe. Um einer Verhaftung zu entgehen, seien „speziell Täter aus dem osteuropäischen Raum“ selbst „bei Lappalien“ zur Waffe greifen und sich zu Wehr setzen.

Unklar blieb bislang dennoch, ob die Zivilbeamten wussten, dass die beiden Verdächtigen aus Rumänien stammen. Gesichert ist inzwischen aber, das sie unbewaffnet waren. Allein deshalb schon scheidet die Möglichkeit von Notwehr aus. Der Beamte wurde vorläufig vom Dienst suspendiert.

Wann das Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) seinen Bericht vorlegen wird, ist noch offen. Das DIE wurde 1995 eingerichtet, um mögliches Fehlverhalten von Beamten zu untersuchen. Es untersteht nicht dem Polizeipräsidenten, sondern direkt dem Staatsrat der Innenbehörde.

Der letzte Todesfall, an dessen Aufklärung das DIE beteiligt war, hatte sich an Heiligabend 2002 ereignet. Damals wurde ein flüchtender Einbrecher von einem Polizisten tödlich in den Rücken getroffen. Der Beamte wurde später wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu zwei Jahren Haft verurteilt – obwohl der damalige Innensenator Ronald Schill noch in der Tatnacht von „einer klaren Notwehrsituation“ gesprochen hatte.

Sein Nachfolger als Innensenator, der damalige Polizeipräsident Udo Nagel, ist da zurückhaltender. Er sprach gestern auf der Landespressekonferenz im Rathaus von einem „sehr bedauerlichen Ereignis“. Es werde alles unternommen, versicherte Nagel, um das Geschehen „vollständig aufzuklären“.