Die große, blöde Frage, was das alles soll

KINO Die besten Animationsfilme der letzten Zeit stammen von der Produktionsfirma Pixar. Aber „Cars 2“ nährt jetzt einen schlimmen Verdacht: Ist die Kreativität des Hauses versiegt?

Wurde die Pixar-Crew ihrer eigenen Subtilität überdrüssig?

VON DIRK KNIPPHALS

Schrecklich. Animationsfilme aus dem Hause Pixar waren bislang eine sichere Bank. Technisch State of the Art. Vor allem aber intelligent, charmant, immer wieder überraschend. Mit links erfüllten die Figuren in solchen längst zu Klassikern aufgestiegenen Pixar-Filmen wie „Toy Story“, „Wall-E“, „Ratatouille“, „Oben“ oder „Findet Nemo“ die zentrale Forderung, die der britische Literaturkritiker James Wood in seinem gerade auf Deutsch erschienenem Buch „Die Kunst des Erzählens“ aufstellt. Für Wood ist es nicht entscheidend, ob eine Figur „flach“ oder „rund“ ist; die Rundheit einer Figur ist ein im englischen Sprachraum gängiges Standardkriterium für realistisches Erzählen. Wood setzt dagegen auf das Kriterium der Subtilität, mit der der Eindruck erzeugt wird, „dass die Handlungen einer Figur zutiefst wichtig sind oder etwas Bedeutsames auf dem Spiel steht“.

Genau diesen Eindruck hatte man bei den Figuren von Pixar immer. Wie schnell man vergaß, in einem Animationsfilm zu sitzen! Es war wichtig, dass Nemo gefunden wird. Es war wichtig, dass die Ratte in „Ratatouille“ ihre Kochkünste zeigen darf. Es war wichtig, dass der alte, grantelige Mann in „Oben“ sein Abenteuer erlebt. Aber jetzt, nachdem man „Cars 2“ gesehen hat, muss man sich fragen, ob die Pixar-Leute nicht inzwischen alles vergessen haben, was ihre große Kunst ausmacht. „Cars 2“ strotzt vor Einfällen. Aber wichtig wird in ihm gar nichts. „Cars 2“ ist der Angeberfilm geworden, den vorzulegen Pixar bislang immer erfolgreich vermieden hat.

Die Angeberei beginnt bereits mit dem Wasser am Anfang. Wasser ist sehr schwer zu animieren. „Cars 2“ fängt dann also gleich mit nächtlichen wogenden Ozeanwellen an, um zu zeigen, was die Leute an den Computern so alles draufhaben. Sensationell sieht das aus – aber wie viel subtiler waren die Luftballons in „Oben“ oder Eves Augen in „Wall-E“! Und so, von einer Animationssensation zur nächsten, springt der Film. Er verbindet eine Autorenngeschichte mit einer Agentenstory, bezieht eine Autofigur nach der anderen ein – jede einzelne großartig nur mit Augen in der Windschutzscheibe und einem Mund im Kühlergrill zum Leben erweckt – und lässt den Rennwagen Lightning McQueen, den Abschleppwagen Hook und die ganze übrige Rasselbande durch Tokio, London und Paris hetzen. Man staunt die ganze Zeit, man registriert, wie man Anspielungen an James-Bond-Filme dechiffriert, man freut sich über manchen Witz (die süßen Miniflugzeuge, die als Tauben auf dem Markusplatz fungieren!), aber was das alles nun soll, weiß man halt nie so recht. Diesem Film fehlt, was andere Pixar-Filme immer hatten: ein Zentrum. Und er bezaubert einen nicht, er dröhnt einen voll.

Vielleicht ist die Pixar-Crew ihrer eigenen Subtilität ein bisschen überdrüssig geworden. Immer charmant und brillant sein zu müssen kann einem ja auch wirklich irgendwann auf die Nerven gehen. Man kann nur hoffen, dass es so war. Dann hätte sich Pixar jetzt einen Ausrutscher geleistet, was sich – wenn der nächste Film wieder an die alten Qualitäten anschließt – verschmerzen ließe. Aber vielleicht ist die Kreativität der Firma inzwischen auch versiegt. Vielleicht fallen ihnen nicht mehr die Geschichten ein, mit denen man den technischen Möglichkeiten Seele einhauchen kann. Vielleicht haben die Machbarkeits-Freaks das Ruder übernommen. „Cars 2“ wirkt so. Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich dieser Verdacht nicht bewahrheitet.

„Cars 2“. Regie: John Lasseter, Brad Lewis. USA 2011, 106 Min. Ab 28. 7. in den Kinos