: Ein Abend im Geiste Watts
Es ist die erste Tour von Daft Punk seit neun Jahren. Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter sind wahrscheinlich die größten Popstars aus dem Bereich elektronischer Tanzmusik. Im Velodrom versuchten sie sich als neue Kraftwerk
VON TIMO FELDHAUS
Der Mond scheint seltsam gelb und groß. Rund und ruhig hängt er am Himmel. Doch aus dem Inneren des Velodrom droht ihm heute Nacht Konkurrenz. Zuerst ist es nur etwas grünes Licht, das eine riesige Pyramide aus Plasmabildschirmen zum Vorschein kommen lässt. Ähnlich verhält es sich mit dem Klang. Ein zuerst schwer dechriffierbares Vokalsample schält sich langsam, mit jeder Wiederholung deutlicher werdend, aus akustischer Verzerrung heraus. Die beiden Worte lauten: „Human Robot.“ Und je mehr man versteht, desto mehr wird auch Licht.
Der Bühnenhintergrund färbt sich rot, und gelbes Licht beginnt in die Pyramide zu fließen. In ihrer Mitte, also dort, wo auf der Dollarnoten-Pyramide ein Auge abgebildet ist, befinden sich zwei Menschen. Sie tragen verspiegelte Motorradhelme. Aus der Pyramide heraus bahnen sich nun Lichtbalken ihren Weg, im Takt der Musik. Von überall her strahlt nun Licht in allen Farben. Das Spektakel beginnt, und das Publikum trägt seinen Teil dazu bei. Schon beim ersten Ton der Roboterstimme haben sich tausende Handykameras zu einem Blitzlichtgewitter vereint. Heute wird also ein großer Abend – nicht nur des Dezibels, sondern mehr noch des Watts.
1997 erschien Daft Punks erstes Studioalbum „Homework“, das zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Alben elektronischer Tanzmusik überhaupt wurde. Das funktionierte vor allem deshalb, weil das französische Duo Homem-Christo und Bangalter House und Techno einerseits radikal simplifizierten, andererseits aber auch kompatibel machten für ein Publikum außerhalb der elektronischen Tanzkultur. Die von ihnen geschaffene Hybridform wurde zum neuen Taktgeber für Housemusik in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts. Und Daft Punk waren die Ersten, die mit Erfolg Rockelemente auf elektronische Musik übertrugen. Eine Methode, die heute auch die Grund-Essenz des Pariser Label Ed Banger ausmacht, die ebendiese musikalische Attitüde brachial rockender Tanzmusik weiterführen. Sebastian und Kavinsky, die DJs von Ed Banger, bringen die Fans von Daft Punk in Stimmung.
Diese wiederum backen keine kleinen Brötchen. Gerüchten zufolge sind sie bis heute die Band mit dem größten Budgetposten bei ihrem Label Virgin. Das Velodrom ist die größte Veranstaltungshalle in Berlin. Die nächste Veranstaltung im Velodrom ist der Bezirkskongress der Zeugen Jehovas. Klassischerweise wird in dieser Halle Fahrrad gefahren. Das Radrennen wiederum ist ein Motiv, das Kraftwerk anhand des Welthits „Tour de France“ in die Popmusik übertrug. In ihrer Robotik-Ästhetisierung haben Kraftwerk statt ihrer selbst einst Roboter auf der Bühne ihre Songs performen lassen. Sie selbst schauten aus dem Publikum zu. Könnten nicht Homem-Christo und Bangalter es heute genauso machen? Sind sie es eigentlich wirklich? Wie in ihrem Film „Electroma“ könnten doch auch zwei kostümierte Schauspieler mit glänzenden Helmen die Regler bedienen.
Die beiden Männer dort oben in der Pyramide haben ohnehin keine große Interventionsmöglichkeit. Die Lichtshow ist so genial mit der musikalischen Untermalung abgestimmt, dass sie wohl höchstens ein paar Filter raus und reindrehen können. So werden sie selbst zu Maschinen im Programm der Show.
Dass sie aber doch keine Maschinen sind, sondern Menschen mit Schwächen, wird offenbar, wenn sie auf ihrer surrealen Kanzel plötzlich beginnen, rhythmisch zu klatschen. In der Körperhaltung haben die Franzosen noch einiges von der zugeknöpften Stilsicherheit der Idole von Kraftwerk zu lernen. Als der Große der beiden plötzlich zu einem im Takt die Faust reckenden Roboter wird, bekommt man für einen kurzen Moment Angst, Angst vor Barbra Streisand, vor Bono, vor dem Stadion, der gestischen Rockblödheit. Die musikalische Verzerrungs-Maschine, die hier „das Werk“ der beiden Franzosen zu einem großen Mash-up collagiert, rettet die House-Künstler jedoch. Denn immer werden mehrere Stücke gleichzeitig zu einem neuen geformt, aus dem sich dann überdrehte Glam-Rock-Gitarren fräsen. Und wenn sich die ersten Takte von Hits wie „Da Funk“ oder „One More Time“ aus dem Potpourri schälen, schreit die Masse begeistert.
Früher waren Pink Floyd für das klangliche und visuelle Zusammenspiel ihrer Bühnenshows berühmt. Auf ihrem erfolgreichsten Album, „Dark Side of the Moon“, ist auf dem Cover vor nachtschwarzem Grund ein Prisma abgebildet. Von links trifft ein Lichtstrahl auf das Prisma, wird dort gebrochen und fällt nach rechts in gebündelten Regenbogenfarben ab. An dem Punkt der Lichtbrechung, in der Mitte des Prismas, das hier im Velodrom eine Pyramide ist, befinden sich Daft Punk. Statt eines Konzertes gerät deren heutige Show zu einem knatschmodernen, bis zum Kitsch illuminierten Kunstwerk.
Am Ende kommt die Stimme zurück, die den Beginn der Show markierte. Nun spricht sie, was in großen Lettern hinter der Pyramide leuchtet: „Human Together“. Eine rote Leuchtschlange schält sich von der Spitze der Pyramide um das ganze Lichtskelett. Sie kriecht an den beiden Robotern hoch, erfasst ihre Anzüge und Helme. Diese drehen sich um, auf ihren Rücken steht in roten Leuchtdioden: Daft Punk. Das Licht geht aus.