Die großtürkische Fanmeile

Einige tausend Türkischstämmige feierten am Samstag in Berlin den „Türkentag“. Vor allem die Jüngsten stellen dabei ihre Sehnsucht nach einem mystifizierten großtürkischen Reich zur Schau

Zum siebten Mal zog am Samstag die Parade des „Türk Günü“ durch Berlin – wörtlich übersetzt heißt das „Türkentag“, wird von den Veranstaltern auf Deutsch aber lieber „Türkisch-europäisches Kulturfest“ genannt. Die erwarteten 120.000 Besucher kamen nicht, stattdessen liefen nach Polizeiangaben 600 TeilnehmerInnen bei der Parade mit. Zum anschließenden Volksfest strömten mehrere tausend Besucher. Viele Vereine türkischstämmiger Berliner wie der Türkische Bund (TBB) boykottierten das Fest.

VON ALKE WIERTH

Wie gut, dass die Biker dabei sind. Verwegen sehen sie aus, wie Rockervarianten des Karibik-Kapitäns Jack Sparrow. Zum Beispiel der Club der „Turkish Sultans“ aus Hamburg: Mit lärmenden Motorrädern und Quads beschließen sie die Türken-Parade Richtung Brandenburger Tor. Sie wirken mit ihren blondierten Bärten und den Piratenkopftüchern beinahe wie eine in der Moderne angekommene Variante der Mehder-Kapelle, die mit bunten historischen Gewändern und tragischer osmanischer Militärmusik den 7. Türkenmarsch an diesem Samstag anführt. Von dem roten Fahnenmeer dazwischen halten die Biker vorsichtig Abstand. Die türkische Fahne kommt bei ihnen allenfalls als kleines Accessoir vor.

Für ihn sei der Marsch mit dem anschließenden Fest auf der Straße des 17. Juni „einfach eine Riesengaudi“, sagt ein türkisch-bayerischer Motorradfahrer. Mit den politischen Parolen vorne im Zug wolle er nichts zu tun haben, sagt ein anderer unwirsch: „Die spinnen doch.“

Der von Türkeifahnen rote Mittelblock zwischen den Bikern hinten und den Mehder-Musikern vorn wird von Ordnern in dunklen Anzügen aufgeregt umkreist. Kopftücher mit der Aufschrift „Die Türkei ist das Größte“ oder schwarze T-Shirts mit dem Emblem der nationalistischen Grauen Wölfe bleiben unbeanstandet. Politische Parolen sollen aber nicht skandiert werden – der Marsch ist schließlich ein Volksfest. Viele der jungen Marschierer ficht das nicht an: „Verflucht sei die PKK“, lautet ein Slogan, und „Sehitler ölmez – vatan bölünmez“, auf Deutsch: „Märtyrer sind unsterblich, das Vaterland ist unteilbar“.

„Osmanli Torunu“ – „Osmanen-Enkel“ – steht auf dem T-Shirt eines 18-Jährigen. Seine Partei, die nationalistisch-religiöse „Nizam-i Alem“, hat ihn hergeschickt. In deren Nachwuchsorganisation, die sich „Idealistische Jugend“ nennt, werde er „ausgebildet“, erzählt der junge Mann. Die Türkei sei ja eigentlich viel größer als ihr heutiges Staatsgebiet, fällt sein Nachbar eifrig ein. Vom Balkan bis nach Westchina – so erträumen sich die beiden jungen Männer ihr türkisches Großreich. Ja, sie seien in Deutschland geboren. „Aber man bleibt irgendwie immer Türke“, sagt der eine. Fast klingt es etwas bedauernd.

Man könne nicht verhindern, dass sich solche „Verrückten“ unter die Teilnehmer mischten, erklärt Türk-Günü-Veranstalter Tacettin Yatkin von der Türkischen Gemeinde Berlin später. Eigentlich wolle man aber keine politischen Aussagen. Wenige Stunden vorher hatte er in einer Reihe mit dem Berliner Vorsitzenden von „Nizam-i Alem“, Mustafa Inan, den Marsch angeführt.

Das an die Parade anschließende Volksfest auf der einstigen Fanmeile bleibt eher dünn besucht. Das liegt nicht nur am Regen. Auch die Busse aus anderen Teilen Deutschlands und Europas bleiben mittlerweile aus. Dem leuchtenden Rot der Türkeifahnen, die beim Volksfest zum Verkauf angeboten werden, kann der Regen nichts anhaben. 10 Euro kosten sie, T-Shirts sind bereits ab 6 Euro zu haben. Tropfnass hängen die Ausstellungsstücke an den Ständen. „Türkiyem“ – „meine Türkei“ – steht auf einem und darunter: „Bu sevda bitmez“. Auf Deutsch: „Diese Liebe endet nie.“