: Behälter für Diskurse
Historismus versus neue Sachlichkeit, Notwendiges neben Überflüssigem: Das Werkbundarchiv stellt sich den Widersprüchen von ästhetischer Erziehung und Wirklichkeit in seinem neuen Berliner Haus
1999 wurde aus dem „Museum der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts“ das „Museum der Dinge“. Damals gewann das Werkbundarchiv durch den Wegzug des Jüdischen Museums neue Räumlichkeiten im Berliner Martin-Gropius-Bau. Die Sammlung des 1973 gegründeten privaten Trägervereins war aus dem Archiv des 1907 von Henry van de Velde, Hermann Muthesius, Peter Behrens und Richard Riemerschmid gegründeten Werkbundes hervorgegangen, der die „Veredelung der gewerblichen Arbeit“ zum Ziel hatte. Doch die neue Herrlichkeit der Sammlung, die seit 1986 versteckt unterm Dach des Martin-Gropius-Bau gehaust hatte, währte nicht lange. Als das Haus 2002 an den Bund ging, kam die Kündigung für das agile Museum. Erst jetzt hat auch das „Museum der Dinge“, nach der damals ebenfalls gekündigten Berlinischen Galerie, ein neues Zuhause gefunden.
VON CLEMENS NIEDENTHAL
Zwei oder drei Dinge, die ich von dir weiß. Man könnte dieses Blumfeld-Lied, das eigentlich ein Godard-Zitat ist, summen, wenn man die Fabriketage des Werkbundarchivs in der Oranienstraße in Berlin Kreuzberg betritt. Und man könnte sich fragen, was man selbst eigentlich von den Dingen weiß. Von dem Ding, diesem eigentümlich umgangssprachlichen Wort, das so oft eine Lücke in den Wörtern kittet. Kannst du mir mal das Ding da geben? Ein Ding ist immer abstrakt und konkret zugleich. Es ist reine Form und Materialität und doch gleichzeitig ein Behälter der Diskurse und der gesellschaftlichen Manifestationen. Man weiß eine Menge über einen Menschen, wenn man zwei oder drei Dinge von ihm weiß. Wenn man zwei oder drei seiner Dinge kennt.
In der neuen Dauerausstellung des Werkbundarchivs stapeln und reihen sich vielleicht 15.000 Dinge. Genau gezählt hat sie niemand. Und doch ist jedes einzelne von ihnen so wichtig, dass sich das Archiv seit 1999 eben Museum der Dinge nennt. Großartige Ausstellungen hatte man unter diesem Namen damals noch im Martin-Gropius-Bau realisiert. Typologien des Alltags, in denen sich plötzlich alle Staubsauger aufblähten und Minuten später alle Radios plärrten. Ausstellungen, die lustig und listig, aber nie ironisch waren. Keine postmoderne Ironie also, dieser einfachste Ausweg aus der Flut der Dinge und ihrer überbordenden und doch gleichzeitig verschwindenden Bedeutungsmuster.
Stattdessen hat sich die neue Ausstellung einen deutlichen Namen gegeben. „Kampf der Dinge“ steht auf den Einladungskarten, „eine Ausstellung im 100. Jahr des Deutschen Werkbunds“. Ein Stück aus der Sammlung löste sich vor sechs Wochen in Luft auf. Der zunächst undefinierbare Gegenstand entpuppte sich als Gewehrgranate und musste im nahen Engelbecken kontrolliert gesprengt werden. Überraschende Funde, explosive Dinge, das Archiv sammelt den Alltag – und damit eben alles, was den Menschen einmal alltäglich war.
280.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds haben den Umzug der Institution aus dem Gropius-Bau, dem ehemaligen Kunstgewerbemuseum, in die beiden ehemaligen Fabrik- und Gewerbeetagen in der Oranienstraße finanziert. Raus aus dem Musentempel, aber auch „näher in den Alltag“, wie Kuratorin Renate Flagmeier sagt. Umgerechnet sind das sieben Euro für jedes der insgesamt 40.000 archivierten Gegenstände. Oder gerade einmal genug, um dem 1973 gegründeten Werkbundarchiv wieder eine öffentliche Ausstellung zu ermöglichen. Um weiterhin die Dinge so zu zeigen, wie sie sonst eben nirgends gezeigt werden: aus sich selbst heraus und doch auch einsortiert in umfassendere Ordnungsprinzipien der Dinge.
Henry van der Velde und Peter Behrens, nach dem Zweiten Weltkrieg dann Dieter Rams und sein programmatisches Braun-Design: Natürlich lässt sich im Museum der Dinge auch die Aristokratie der guten Form besichtigen, das Erbe des Werkbunds eben. Die AEG-Ventilatoren aus den 1910er Jahren, große Maschinen im Kleinen, Funktion ohne Ornament. Oder die Küchenmaschine KM 3 von Dieter Rams und Gerd Müller, die beinahe 40 Jahre lang unverändert produziert wurde; die in so vielen Haushalten zu finden ist und im Museum of Modern Art. Aber keines dieser Objekte thront auf einem Sockel. Alle stehen sie dicht an dicht in den selben Archivvitrinen. So gleichberechtigt und demokratisch, wie es ihr Design einmal propagiert hat.
Der Nimbus liegt neben dem Nippes. Und ganz gewollt verschwimmen Grenzen, die an anderer Stelle um so manifester inszeniert werden. Historismus versus Neue Sachlichkeit, die reine Funktionalität der Braun-Geräte gegen die plastikbunten Reisedevotionalien aus Rimini und Reit im Winkl, das Notwendige und das Überflüssige – dieser Widerstreit durchzieht die Schauausstellung wie ein roter Faden. Doch während der Werkbund – zeithistorisch notwendigerweise – das Auseinanderdividieren von guter und schlechter Form immer als ein Dogma praktiziert hat, lebt diese Präsentation auch von ihrer Gelassenheit. Jedem bleibt unbenommen, die angehäuften Werbefiguren, Schlüsselanhänger und Stehrümchen ins Herz zu schließen.
Ein paar Schritte weiter stehen dann die so genannten Werkbundkisten, mit denen die Formpädagogen des Werkbunds in den Fünfzigerjahren durch die Schulen gezogen sind und eine neue, gute Produktästhetik propagierten. Geschmackserziehung als Konsumentenbildung, ein Prinzip, dass heute in Fair- Trade-Kampagnen wiederkehrt. Oder – zum Klischee verzerrt – in der Manufaktum-Rede von den „guten Dingen“, der auch das Museum der Dinge nicht ausweichen kann. Eine Installation am Ende der Vitrinenreihe greift die sentimentale Semantik des Versandhauses auf. Und macht damit gleich noch einmal deutlich, dass das Werkbundarchiv zwar Chronist eines ästhetischen Status quo der Industriemoderne ist, aber nur bedingt ihr Gralshüter. Auch deshalb steht der neuen Dauerausstellung ihr Gestus einer Schausammlung so gut: Die Ausstellung deutet auf die Dinge hin, bietet vielleicht auch Bedeutungen an. Gleichzeitig bleiben die Dinge aber immer auch Sache ihrer Betrachter.
Wahrscheinlich jeder wird in der Oranienstraße etwas entdecken, das er auch zu seinen Dingen zählt. Wilhelm Wagenfelds WMF-Butterdose zum Beispiel, Rubiks Zauberwürfel oder spätestens den iPod von Apple. Auch mit diesem affirmativen, radikal subjektiven Zugang kann diese Ausstellung gut leben. Dann ist sie eine poetische Erzählung, so schön wie ein Song aus dem Musical „The Sound of Music“: These are a few of my favorite things. Ein wichtiges Museum hat seit Freitag wieder geöffnet. Das ist, man mag den Kalauer verzeihen, ein tolles Ding.
Werkbundarchiv/Museum der Dinge, Oranienstr. 25 in Berlin Kreuzberg, geöffnet Fr.–Mo. 12–19 Uhr