Künstlerische Raumforschung

BONNER KUNSTPREIS Antonia Low überführt ihre Eindrücke verborgener Orte bei der Brüsseler EU-Bürokratie in großartige Rauminstallationen

Low hält den menschlichen Faktor hoch, der sich in die bürokratische Ordnung einschleicht

Brüssel bildet den Ausgangspunkt für Antonia Lows Ausstellung „Der verlorene Raum“ im Kunstmuseum Bonn. Schon lange wollte die Künstlerin dem ehemaligen Kindheitsort erneut begegnen und sich in einer aktuellen Arbeit auf ihn beziehen. Als Low 2013 den Bonner Kunstpreis erhielt, zu dem, neben der Ausstellung im Kunstmuseum, unter anderem ein Aufenthalt in einer europäischen Stadt zählte, wählte sie Brüssel und führte dort eine künstlerische Raum-Forschung durch. Interessanterweise sind Räume und ihre strukturellen und materiellen Eigenschaften nicht nur ein Thema, das sich durch Lows Werk zieht, sie stellen auch einen direkten Bezug zur damaligen Brüssler Erfahrung dar.

Die heute 42-Jährige hatte die Stadt als 7- bis 10-jähriges Kind erlebt, als ihre Mutter an der deutschen Botschaft arbeitete. Ihr Büro übte eine starke Anziehung auf sie aus. „Es hatte holzvertäfelte Wandschränke voller persönlicher Details und heimliche Türen, die die Büros miteinander verbanden.“

Neben der Faszination für Verborgenes besaß die Künstlerin schon früh eine ausgeprägte Raumwahrnehmung. Noch heute hat sie den Nato-Konferenzsaal vor Augen, in dem sie damals einen Film ansah. „Viel mehr als an den Film selbst erinnere ich mich an die Beschaffenheit der Räumlichkeiten: niedrige Decken, dunkle holzvertäfelte Wände, flauschig-braune Teppichböden, eine gedämpfte Raumakustik.“

Hinterste Winkel

Lows künstlerisches Interesse richtet sich heute auf das Innere von Brüsseler Institutionen – auf Bereiche, die gewöhnlich unbeachtet oder unzugänglich sind. Geführt von Angestellten, gelangte sie in die hintersten Winkel von Bürohäusern der EU, des Europäischen Parlaments, des Justizpalasts, des Bozar, des Opernhauses und des Goethe-Instituts. Die verborgenen Räume hielt sie in über 1.400 Fotos fest. Ein Bruchteil von 64 Bildern ist nun auf den Innen- und Außenwänden von zwei leeren Aktenschränken zu sehen.

Die stets menschenleeren Räume der Fotografien spiegeln Lows Blick – gewissermaßen ihren ausgewählten Weg durch das Labyrinth, das sich ihr darbot. Für die Betrachter umgibt die Aufnahmen eine spekulative Note, denn die gezeigten Räume besitzen, wenn überhaupt, nur unterschwellige Verweise auf die zugehörigen Institutionen. Daneben führte die stark visuell geprägte Anordnung dazu, dass selbst das Foto einer verborgenen Übernachtungsstätte nicht anders gewertet wird als ein verlassener Pizzateller in einer aalglatten Lobby.

Low hält den menschlichen Faktor hoch, der sich in die bürokratische Ordnung einschleicht. Neben auffälligen Details, zu denen lebensgroße Pappfiguren von ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments oder der Aufbau eines Sicherheitssystems zählen, sind gewöhnliche Dinge wie Wasserspender, Putzwagen und aufgetürmte Büromöbel zu sehen.

Oft verweisen einzelne Elemente auf Übergangszustände, wie etwa der gelbe Spanngurt an einer Marmorsäule. Als Spuren unvollendeter, vergangener menschlicher Aktivität erzeugen sie ein Gefühl von Verlassenheit, zugleich fragt man sich, was als Nächstes geschieht. Viele Bilder sind starke ästhetische Setzungen. Lows fotografischer Blick erzeugt so einen Schwebezustand, bei dem vorgefundene Dinge plötzlich arrangiert erscheinen.

JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

■  Bis 11. Januar 2015, Kunstmuseum Bonn