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Archiv-Artikel

Teurer Tod auf Raten

KRANKHEIT Das Buch „Asbest und seine Opfer“ erzählt, wie Erkrankte für Entschädigungen kämpfen

Von JPK
Asbest und die Folgen

Asbest ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene faserförmige Minerale. Sie lassen sich leicht verarbeiten und sind höchst beständig.

■ Wegen Gesundheitsgefahren ist der Stoff in Deutschland seit 1993 verboten, EU-weit seit 2005.

■ Die Lungenkrankheit Asbestose kann nach einer Latenzzeit von bis zu 40 Jahren Krebs hervorrufen.

■ 1.500 Asbest-Tote werden in Deutschland pro Jahr registriert. Experten erwarten den Höhepunkt der Krankheitswelle um das Jahr 2020.

Tore Holm aus Bremen hat früher mit Asbest gearbeitet – und ist heute schwer krank. Er bekommt kaum Luft und leidet unter Fieber; es ist, als „würde er von Innen ausgezehrt“, sagt seine Ehefrau. Asbestose, diagnostizierten Holms Ärzte schon vor Jahren. Doch um von seinem Arbeitgeber entschädigt zu werden, müsste Holm beweisen, dass es auch wirklich diese Arbeit war, die ihn krank gemacht hat. Die Beweislast liegt nach deutschem Recht aber beim Opfer.

Die Bürgerschaftsabgeordnete Silvia Schön (Grüne) und Arbeitsmediziner Hans-Joachim Woitowitz kritisieren das. In ihrem jüngst im Kellner Verlag erschienenen Buch „Wir klagen an. Asbest und seine Opfer“ sind 14 Krankengeschichten zu lesen – 14 langjährige Rechtsstreits.

Tore Holm ist ein Pseudonym. Weil sie Repressionen durch die Berufsgenossenschaften befürchten, haben viele der Betroffenen auf Anonymität bestanden. Um Ängste geht es in allen Geschichten. In den ersten Jahren verheimlichte Holm sogar seine Krankheit, um weiter arbeiten zu können. Später ließ er sich auf einen Deal ein und akzeptierte 20 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit, weil seine Familie finanziell mit dem Rücken zur Wand stand. Ein anderes Gutachten hatte 80 Prozent für angemessen erachtet.

Selbst wer als Schwerstkranker noch die Kraft für rechtliche Auseinandersetzungen fände, habe es schwer, Beweise vorzulegen, sagt Schön. Die asbestverarbeitenden Betriebe haben die Gefährdung nicht ermittelt, und schon gar nicht dokumentiert. Als Ratgeber für Betroffene gibt das Buch Hinweise für den Umgang mit Anträgen, Protokollen und Gutachten.

Die Rechtslage sei eines „Sozialstaates nicht würdig“, sagt Schön. Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen folgte am Wochenende dem Bremer Antrag, für die Umkehrung der Beweislast einzutreten. Neben der Moral geht es um viel Geld: Die Behandlung eines Erkrankten kostet in der Summe rund 250.000 Euro. In Deutschland sind 190.000 Fälle registriert.

Die Tendenz ist steigend. Denn obwohl Asbest seit Jahren verboten ist, gehen ExpertInnen davon aus, dass der Höhepunkt der ausbrechenden Krebserkrankungen noch bevorsteht. Die Latenzzeit beträgt bis zu 40 Jahre.

Verbaut wurde Asbest „in jedem Dorf“, sagt Woitowitz. Im Land Bremen sei die Lage aber besonders dramatisch – wegen des Schiffbaus und weil Asbest an den Häfen umgeschlagen wurde. Schön sprach mit ZeitzeugInnen, die sich erinnern, wie ganz Walle weiß vom Staub gewesen sei, wenn die Ladung gelöscht wurde.

Das Buch zeigt die Aktualität eines uralten Problems. Und obwohl die Anklage bereits im Titel steht, ist das ein strukturelles. Woitowitz sagt, es sei problematisch, die Rechtsnachfolger längst abgewirtschafteter Werften zu belangen, wenn diese selbst nie mit Asbest zu tun hatten. Das aber auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen, sei untragbar. Daran lassen Woitowitz und Schön keinen Zweifel.  JPK