: Der Python wohnt beim Schulleiter
Die „Grundschule im Grünen“ am Rand von Hohenschönhausen ist ein Haus voller Tiere. Und mit eigenem Bauernhof
Ein Schulhof wie ein Abenteuerspielplatz im Wald, ein Sportplatz, auf dem Ziegen und Schafe grasen. Und hinter dem weißen Schulgebäude ein kleiner Bauernhof mit Schweinen und Gänsen, Hühnern und Hasen.
Die „Grundschule im Grünen“ in Malchow hinter Hohenschönhausen ist so idyllisch, dass man seinen Augen kaum trauen mag. Die Bauernhofbewohner sind längst nicht die einzigen Tiere der Schule: Im Keller wohnen die nachtaktiven Chinchillamäuse gemeinsam mit der Ratte Kita – die so heißt, weil sie der Schule von einer Kita geschenkt wurde. Im Sekretariat der Schule steht ein Aquarium, auf dem eine Katze schläft. Im Büro des stellvertretenden Schulleiters wohnt Xena, eine kleine Pythonschlange. Und Schulleiter Tobias Barthl selbst beherbergt in seinem Zimmer nicht nur einen riesigen Leguan namens Guido, sondern auch zwei Vogelspinnen.
„Die dürfen nicht draußen stehen, das wäre zu gefährlich“, erklärt Barthl. Der heute 43-Jährige hat die Leitung der Schule 1991 kurz nach der Wende übernommen, mit damals 27 Jahren. Eine Umweltschule – das war das Konzept, mit dem er sich um den Posten beworben hatte. Seitdem hat er die kleine Schule am Rande Berlins zu einem beispielhaften und nahezu einzigartigen Projekt ausgebaut.
Einmal in der Woche ist „Bauernhoftag“ – dann helfen die Kinder beim Ausmisten der Ställe und bei der Pflege der Tiere. Eine fest angestellte Tierpflegerin unterstützt sie dabei. Die Frage, ob der Unterricht an diesem Tag ausfalle, amüsiert Schulleiter Barthl: „Das ist Unterricht!“ SchülerInnen bauen Krötenzäune am Malchower See, sammeln Müll auf den umliegenden Wiesen oder scheren Schafe und üben anschließend, Wolle zu spinnen.
Eine weitere Besonderheit der Grundschule: das Fach Umweltkunde. Ab der ersten Klasse lernen Schülerinnen und Schüler die Natur und die Bedeutung ihres Schutzes kennen. Die Nestbautechnik von Vögeln steht genauso auf dem Lehrplan wie das richtige Pflanzen eines Baumes.
Längst nicht alle der derzeit 430 Kinder an der grünen Grundschule am Stadtrand haben Ökofreaks als Eltern. Doch das Lernen in der Schule wirkt sich in den Familien aus. Gefragt, was Kinder denn schon für den Schutz der Umwelt tun können, fällt Sophie und Anne gleich etwas ein: „Sie können ihre Eltern überzeugen, weniger Auto zu fahren!“ Und am besten auch gleich den Politikern klarmachen, dass sie mehr für den Klimaschutz tun müssen, meint Joshua. Der Zehnjährige ist Klimaexperte: Begriffe wie Kohlenstoffdioxid und Ozonschicht kommen ihm so leicht über die Lippen wie einem Studenten im ersten Semester.
Ein Großteil der Kinder wohnt in den Plattenbaugebieten im Nordosten Berlins. Aber viele kommen auch aus dem Umland: Familien, die in den „Speckgürtel“ rund um Berlin gezogen sind, schicken ihre Kinder auf die Umweltschule. Nur etwa jedes zwanzigste Kind der Schule stammt aus einer Migrantenfamilie. Dafür arbeitet die Grundschule im Grünen mit Schulen in anderen Stadtteilen zusammen, an denen viele Kinder nicht deutscher Herkunft sind. Sie besuchen die Schule und die „Knirpsenfarm“ mit den Tieren, und messen sich bei Sportwettkämpfen mit ihren Hohenschönhauser Nachbarn. Probleme oder Streit gebe es dabei nicht, erzählt Schulleiter Barthl. Auch mit Gewalt oder Sachbeschädigungen hat die Schule vergleichsweise wenig Probleme. Dennoch sind an ihrer Rückseite Überwachungskameras angebracht. Im vergangenen Jahr kamen durch Brandstiftung zwei Ziegen in ihrem Käfig ums Leben. Für die Kinder ein Schock. Ein großer Gedenkstein erinnert an die beiden Tiere.
Daneben entsteht gerade ein neues großes Kaninchenhaus mit Auslaufgehege. Die Instandhaltung der Anlagen, die Pflege und die Anschaffung des Tierfutters – all das kann eine öffentliche Grundschule nicht mit ihrem normalen Etat bewältigen. Der „Grundschule im Grünen“ hilft ein großer und pfiffiger Förderverein, der sich längst über die Schule hinaus in der Kinder- und Jugendarbeit des Bezirks engagiert. Geld für Futter und Käfige sowie das Gehalt der Tierpflegerin und für weitere Hilfskräfte kommen von dort.
Auch Schulleiter Barthl engagiert sich im Förderverein. Auf den Achtstundentag arbeitet der engagierte Schulleiter mit dem blonden Zopf und der Jeanslatzhose noch hin. Derzeit verbringe er acht bis zehn Stunden in der Schule, sagt Barthl, anfangs seien es eher zwölf gewesen. „Schön wäre es, wenn wir für unser Konzept mehr Unterstützung vom Senat bekämen“, wünscht sich Barthl allerdings. Anders als Schulen mit sportlichem oder musikalischem Schwerpunkt bekommt die Umweltschule keine zusätzlichen Lehrer oder Gelder von der Bildungsverwaltung.
ALKE WIERTH