„Es gibt mehr schlechte Musik als früher“

Seit zehn Jahren steht das Berliner Label Shitkatapult für eine Musik, die „De:Bug“ mal „Knattertechno mit Listening-Romantik“ nannte. Auf dem Markt hat sich einiges getan. Ein Gespräch mit Gründer Marco Haas aka T.Raumschmiere und Daniel Meteo über Demo-CDs, New Rave und die harten Zeiten

Das Berliner Elektroniklabel Shitkatapult wird zehn – keine Selbstverständlichkeit auf einem Markt, der kontinuierlich schrumpft und auf dem immer mehr kleine Plattenfirmen zur Kapitulation gezwungen werden. Bei Shitkatapult, mit Sitz in Friedrichshain, gibt man sich noch relativ gelassen. Sascha Ring, der jahrelang zusammen mit Marco Haas alias T.Raumschmiere das Label betrieben hat und im letzten Jahr ausgestiegen ist, geht als Musiker unter dem Namen Apparat mit seiner neuen Platte „Walls“ dem größten Erfolg des Labels entgegen. Seine romantische Musik ist die große Antithese zu Shitkatapults Rocksau-Image, das vor allem durch die sagenumwobenen Liveauftritte von T.Raumschmiere geprägt wurde. Dieser hat gerade als Schlagzeuger eine Platte mit seiner Punkband The Crack Whore Society eingespielt und arbeitet derzeit fleißig an seinem nächsten Soloalbum. Das Label betreibt er jetzt zusammen mit Daniel Meteo.    ANDREAS HARTMANN

„10th Anniversary Shitkatapult“, morgen ab 23 Uhr, Maria am Ostbahnhof (u. a. mit T.Raumschmiere, Hakan Lidbo)

INTERVIEW ANDREAS HARTMANN

taz: Lohnt es sich überhaupt noch, ein Label zu betreiben?

Daniel Meteo (DM): Das hat sich für uns noch nie wirklich gelohnt.

Marco Haas (MH): Ich muss schon sagen: Ich würde heute kein Label mehr starten. Wer gerade jetzt damit anfängt, hat es schwer.

DM: Der Frustrationspegel steigt bei der angespannten Lage auf dem Musikmarkt schon, das muss man gar nicht verschweigen.

Einfach mal so machen, einfach ein Label mit Punkrockattitüde betreiben – geht das heute gar nicht mehr, wenn man überleben möchte?

MH: Nee, so nebenbei geht nicht. Man muss ja auch seine Miete bezahlen, deswegen muss man kalkulieren und rechnen und den Laden halbwegs seriös betreiben. Aber ich glaube, wir haben da eine gute Mischung gefunden, bei uns kommt der Punkrock nicht zu kurz.

DM: Wichtig ist bei uns, dass es immer mehr Labelbesitzer als Angestellte gibt, sodass man nur wenig an Gehältern zahlen muss. So hat man das wirtschaftliche Risiko einigermaßen im Griff.

Steht ein Berliner Label mit dem anhaltende Berlin-Hype im Rücken nicht besser da als andere Labels?

DM: Klar. Wenn wir jetzt aus Ulm kommen würden, dürften wir vielleicht so ein Interview nicht geben! Wir sind aber ja auch weiterhin ein prägendes Label für Berlin.

Nervt es aber nicht irgendwann auch, zwangsläufig mit dieser Stadt identifiziert zu werden?

MH: Mich nervt das nicht. Dieses Image als Ort zum freien Leben hat Berlin ja auch zu Recht. Wenn du so viel durch die Welt reist, wie ich das tue, merkst du das immer wieder von neuem.

DM: Ich bin jetzt nicht der totale „Berlin ist geil“-Fürsprecher, aber die Stadt schützt uns auch in dem Sinne, dass man hier Möglichkeiten zum Rumwuseln bekommt, auch wenn man nicht permanent im Spotlight steht. In Köln hätten wir bestimmt längst aufgegeben. Da gibt es mit Kompakt ein einziges großes Label für elektronische Musik – und da gehörst du dann entweder dazu oder eben gar nicht.

Das freundliche Miteinander der Labels in Berlin wird ja immer gern beschworen. Ist wegen der schweren Zeiten aber nicht doch so etwas wie Konkurrenzdenken entstanden?

MH: Also ich kann nicht sagen, dass ich mich von irgendjemandem bedroht oder meiner Kundschaft beraubt fühle. Ich finde, alles läuft wunderbar hier.

Also sind alle happy?

DM: Happy überhaupt nicht, weil alle Probleme haben, aber das verbindet auch wieder.

Wenn es hart auf hart käme: Wäre es für euch eine Option, ausschließlich zu einem Online-Label zu werden, so wie es Kitty Yo seit kurzem macht?

DM: Auf keinen Fall. Wir stehen ja auch auf das Produkt, den haptischen Tonträger. Platten finden wir immer noch gut, und ich denke, das sieht man denen auch rein optisch an.

Für euch beide als Musiker hat ein eigenes Label ja auch den Sinn, unabhängig die eigene Musik herausbringen zu können. Das ist ein wichtiger Impuls für die Labelarbeit, nehme ich an.

DM: Die Leidenschaft, die man braucht, um so ein Label zu führen, das so wenig Profit abwirft, ist schwer aufzubringen ohne die Leidenschaft für die eigene Musik. Das ist richtig.

Ist es ein Problem, dass das Image von Marco als schweinerockender Technomusiker mit der Truckerkappe auf das ganze Label abfärbt? Dass also fast liebliche Acts wie Apparat schwer zu vermitteln sind?

MH: Überhaupt nicht. Das Interesse für mich wurde einfach auch auf das Label übertragen, was nur gut für uns ist. Denn plötzlich wird dann eben auch jemand wie Apparat entdeckt.

Gerade reden alle von New Rave und davon, dass Techno endlich wieder so richtig rockt. Shitkatapult steht schon immer für den Rock im Techno, doch bei dem neuen Hype ist von euch bislang nicht die Rede. Ärgert euch das?

MH: Ehrlich gesagt, nehme ich das mit New Rave nicht so ernst. Wie jedes Jahr ist Sommerloch, man braucht halt mal wieder was Neues. Die Leute, die jetzt New Rave hypen, sich Nietengürtel kaufen und enge Hosen tragen, das sind dieselben, die letztes Jahr noch geschrieben haben, Heavy Metal habe im Techno nichts zu suchen. Gerade die deutsche Musikpresse richtet ihr Fähnchen da immer gerne nach dem Wind und schreibt jedem kurzlebigen Trend hinterher. Ohne Shitkatapult wäre ein Label wie Ed Banger, das mit New Rave gerade so abgeht, bestimmt nicht so groß. Aber dass das kaum wahrgenommen wird, nein, darüber will ich mich nicht aufregen.

Wie hält man sein Label eigentlich frisch? Wie findet man immer wieder neue interessante Acts, die zu einem passen?

DM: Wir hören noch ganz klassisch Demos an. Aber schreib das bloß nicht, sonst kriegen wir noch mehr CDs zugeschickt! Wir kommen doch so schon nicht nach mit dem Reinhören.

Viele Labels sind oft genervt von Demos, weil die immer so klingen wie der aktuell erfolgreichste Künstler im Stall.

DM: So ist es ja auch. In der Kiste hier sind bestimmt 50 Apparat-CDs drin.

MH: Und 30-mal T.Raumschmiere. Es ist tatsächlich schwierig, etwas wirklich Originelles zu bekommen. Ganz schlimm sind auch die „Hör dir doch mal meine Musik auf meiner My-Space-Seite an“-Mails. Ich mach den ganzen Tag nichts anderes, als die sofort wieder zu löschen.

DM: Heute Morgen haben schon wieder zwei angerufen und sich beschwert, dass wir uns noch nicht bei ihnen gemeldet hätten, obwohl sie uns vor zwei Monaten Demos geschickt hätten. Da muss man dann schon wie so ein doofer Hollywood-Boss sagen: Wenn es uns gefällt, melden wir uns, keine Sorge. Aber wir schicken bestimmt nicht 160 Absagen im Monat raus.

Ist für Labels die Situation also auch deswegen schwieriger geworden, weil man sich beim Auswählen durch eine größere Masse an schlechter Musik wühlen muss?

DM: Früher war unter 20 CDs eine gute drunter, heute unter 150.

MH: Die Leute, die elektronische Musik machen, haben heute gar keine Hemmungen, gar keine Ansprüche mehr.

DM: Es gibt bestimmt genauso viel gute Musik wie früher, aber es gibt auch einfach viel mehr schlechte Musik. Damit muss man als Label heute umgehen können.