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Archiv-Artikel

Neue Regeln für die digitale WeltBibliotheken: Ein bisschen digital

SCHUTZ FÜR KÜNSTLER WIRD MODERNISIERT

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) kann aufatmen. Gestern hat der Bundestag eines der wichtigsten und komplexesten Gesetzgebungsvorhaben ihrer bisherigen Amtszeit verabschiedet: Das Urheberrecht wird mit einer umfangreichen Reform an die Erfordernisse der digitalen Welt angepasst. „Die Novelle ist ein wichtiger Beitrag zur Modernisierung Deutschlands“, sagte Zypries vollmundig. Schon seit Jahrzehnten schützt das Gesetz über Urheberrechte die geistige und künstlerische Leistung von Komponisten, Schriftstellern, Journalisten und anderen in kreativer Weise tätigen Menschen. Es regelt, wer die Werke in welcher Weise nutzen darf und wie sie zu honorieren sind. An jeder Veränderung des Gesetzes sind unzählige Lobbygruppen mit gegenläufigen Interessen interessiert. Neben den Rechten der Urheber regelt das Gesetz nämlich auch die Rechte der Verlage, Plattenfirmen und anderer Verwerter sowie die Rechte der Nutzer, zum Beispiel der Buch- und CD-Käufer.Jede kleine Veränderung wurde von mindestens einer der beteiligten Gruppen als Angriff auf ihre angestammten Besitzstände angesehen. Doch der technische Fortschritt, insbesondere das zunehmende Aufkommen von digitalen Medien wie CDs, DVDs und Internet-Diensten, erfordert immer wieder eine Anpassung des rechtlichen Rahmens. Zunächst musste das entsprechende EU-Recht in deutsches Recht überführt werden, was 2003 erfolgte. Die übrigen Fragen wurden in einen „Zweiten Korb“ gelegt und vom Justizministerium mit einem fast hundertseitigen Gesetzentwurf beantwortet. Die Neuregelung des Urheberrechts erleichtert meist die Nutzung neuer Technologien. Sie hält aber im Interesse von Urhebern und Verwertern an vielen Einschränkungen fest oder stellt sogar neue auf. Aus der Sicht der Mediennutzer ist vieles ärgerlich, aber letztlich gilt auch hier: Kultur und Wissenschaft können sich besser entwickeln, wenn auch Urheber und Verwerter auf ihre Kosten kommen. Bei der Abstimmung, die gestern nach Redaktionsschluss stattfand, wollte neben der großen Koalition auch die FDP zustimmen. Die Grünen kündigten eine Enthaltung an, die „Linke“ Ablehnung. Der Bundesrat wird am 21. September über die Novelle abstimmen, hat aber kein Vetorecht.

Bibliotheken, Museen und nichtkommerzielle Archive sollen attraktiver werden. Sie dürfen künftig ihre Bücher und Zeitschriften auch an elektronischen Leseplätzen zugänglich machen. Diese Plätze müssen aber in der Einrichtung sein. Ein Online-Zugriff von außen ist nicht vorgesehen, um das Geschäft der Verlage nicht zu gefährden.

Erfolglos forderten Wissenschaftler, dass sie wenigstens von ihrem Arbeitsplatz aus Online-Zugriff auf Bücher ihrer eigenen Universitätsbibliothek bekommen. Auch eine zweite Einschränkung geht auf den Druck der Verlage zurück. Ein Buch, das nur einmal in der Bibliothek steht, darf grundsätzlich auch nur an einem einzigen elektronischen Leseplatz gelesen werden. So soll sichergestellt werden, dass die Bibliotheken von Standardwerken weiterhin mehrere Exemplare anschaffen. Eine Ausnahme ist nur bei „Bedarfsspitzen“ möglich, zum Beispiel für die Dauer eines Hochschulseminars. Dann kann auf ein bestimmtes Fachbuch auch von bis zu vier elektronischen Leseplätzen zugegriffen werden.

Das Gesetz will auch den Versand von Kopien durch Bibliotheken regeln. Der Bundesgerichtshof hat schon 1999 entschieden, dass Kopien von Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen per Post oder Fax an wissenschaftliche Interessenten in anderen Städten versandt werden dürfen. Die Urheber müssen aber (über eine Verwertungsgesellschaft wie die VG Wort) eine angemessene Vergütung dafür erhalten.

Justizministerin Zypries übernahm diese Rechtsprechung nun in ihren Gesetzentwurf und ergänzte, dass auch ein Versand per E-Mail möglich ist – allerdings nur als grafische Datei, so dass der Text vom Empfänger nur gelesen und nicht durchsucht oder bearbeitet werden kann. Außerdem soll der elektronische Versand von Fachaufsätzen nur möglich sein, wenn die Verlage kein eigenes elektronisches Download-Angebot anbieten.

Tauschbörsen: Jetzt komplett illegal

Die Zeiten für die Nutzer von Musik- und Filmtauschbörsen im Internet werden härter. Denn das novellierte Urheberrechtsgesetz schließt ein letztes Schlupfloch. Jetzt sind solche Tauschbörsen generell illegal, soweit urheberrechtlich geschützte Titel getauscht werden. Bisher war der Download von Dateien nämlich nur verboten, sofern die Datei „offensichtlich rechtswidrig hergestellt“ wurde. Damit war aber nicht der häufige Fall erfasst, dass jemand ein Stück anbietet, das von einer legal gekauften CD stammt.

Zum Ausgleich für diese Ausweitung der Strafbarkeit wollte Zypries eine Bagatellklausel einführen. Wer Tauschbörsen nur selten und „zum privaten Gebrauch“ nutze, sollte von der Strafverfolgung ausgenommen bleiben. „Die Schulhöfe sollten nicht kriminalisiert werden“, sagte sie damals. In der Bundesregierung stieß dies allerdings auf Widerstand, insbesondere Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) fürchtete um das „Rechts- und Wertebewusstsein“ der Jugendlichen, sodass die Klausel aus dem Entwurf gestrichen wurde.

Nach der Sommerpause soll das in diesem Zusammenhang ebenfalls relevante Gesetz zur Verbesserung von Rechten des geistigen Eigentums verabschiedet werden. Es gibt den Musikfirmen einen Auskunftsanspruch gegen Internetprovider. Über die Verbindungsdaten kann bewiesen werden, dass ein bestimmter Computer für illegale Downloads benutzt wurde. Dieser Nachweis kann Schadensersatzforderungen bei illegalen Downloads ermöglichen. Der Auskunftsanspruch setzt allerdings voraus, dass die Zahl der Angebote und Downloads in „geschäftlichem“ Umfang erfolgt, das für den privaten Gebrauch übliche Maß übersteigt. Diese Klausel dürfte für den durchschnittlichen Jugendlichen einen gewissen Schutz vor Klagen der Musikindustrie bedeuten, auch wenn die Auslegung umstritten bleibt.

Geräteabgabe: Höhere Tantiemen

Wer CD-Rohlinge und Audiokassetten, aber auch CD-Brenner, Kopierer und ähnliche Geräte kauft, muss die so genannte Geräteabgabe zahlen. Dieses Geld geht an die Urheber und ist ein pauschaler Ausgleich dafür, dass jeder seine CDs, Bücher und andere Werke für sich und seine Freunde kopieren darf. An diesen Privatkopien verdienen die Urheber nichts. Durch diese Abgabe wird ein CD-Brenner um 7,50 Euro teurer und ein CD-Rohling um 6,1 Cent pro Stunde Laufzeit.

Die Neuregelung der seit dem Jahr 1965 existierenden „Geräteabgabe“ war der politisch am meisten umstrittene Punkt. Bislang wurde die Höhe der Abgabe vom Gesetzgeber festgelegt. Künftig sollen die Verbände der Gerätehersteller und der Urheber die Höhe der Abgaben aushandeln. Damit sollen neue Gerätetypen und Medien wie PDA-Handcomputer und USB-Speichersticks schneller ins Vergütungssystem einbezogen werden. Ein Schlichtungsverfahren soll im Streitfall – und der wird vermutlich die Regel sein – für schnelle Ergebnisse sorgen.

Der ursprüngliche Gesetzentwurf schränkte die Verhandlungen jedoch an zwei Punkten ein, die bei den Urhebern für Empörung sorgten. So sollte die Geräteabgabe nur noch für Geräte anfallen, die „in nennenswertem Umfang“ für private Kopien eingesetzt werden. Damit könnte sie möglicherweise für Drucker, Fax-Geräte und PCs entfallen. Außerdem wollte Zypries die Geräteabgabe auf maximal fünf Prozent des Verkaufspreises begrenzen. Dies soll den deutschen Elektrohandel schützen, der fürchtet, dass Drucker und Rekorder sonst übers Internet in anderen Ländern gekauft werden, in denen keine Geräteabgabe gibt.

Zypries versicherte den Urhebern zwar, dass ihre Einnahmen aus der Geräteabgabe unter dem Strich nicht sinken werden, weil immer mehr Geräte verkauft würden, die immer schneller kaputtgingen. Aber ohne Erfolg. Letztlich stellten sich sogar die Experten von SPD und CDU/CSU auf die Seite der Urheber. Und Zypries musste beide Klauseln aufgeben. Die Urheber können deshalb damit rechnen, dass sie über ihre Verwertungsgesellschaften in Zukunft ein deutlich größeres Zubrot aus der Geräteabgabe bekommen.

Verwertung alter Werke erleichtert

Mehr als für alle Aspekte der Gesetzesnovelle interessieren sich Verlage, Plattenlabels und Rundfunkanstalten für die sogenannte „Öffnung der Archive“. Denn was sich nach einer Angelegenheit für ein Fachpublikum anhört, ist in Wahrheit der Teil der Reform, dem die größte wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Denn hierbei geht es um nichts Geringeres als die Verwertung alter Werke, die künftig deutlich erleichtert werden soll.

Schließlich ist es bisher sehr aufwändig, ein altes Werk in einer neuen Nutzungsart zu veröffentlichen, zum Beispiel ein Buch als Hörbuch-CD oder als Internet-Download. Hierzu ist derzeit noch das Einverständnis des Urhebers erforderlich. Und wenn es viele Urheber gibt, etwa bei einem Konzertmitschnitt, bei dem Stücke verschiedener Komponisten auftauchen, sind häufig umfangreiche Recherchen notwendig, um die Inhaber der Rechte zu ermitteln, mitunter müssen sogar Erben ausfindig gemacht werden.

Der Grund für das Problem ist eine Regelung im Urheberrecht, die den Urhebern verbietet, Rechte über „noch nicht bekannte Nutzungsarten“ zu vergeben. Was die Urheber davor schützen soll, sich allzu billig zu verkaufen, lähmt zugleich das Geschäft. Deshalb sieht das neue Gesetz vor, dass ein Urheber künftig Rechte für unbekannte Nutzungsarten einräumen kann. Außerdem können bereits existierende Werke künftig auch ohne Zustimmung des Urhebers in neuen Medien genutzt werden. Die Urheber erhalten dafür eine „angemessene Vergütung“, profitieren also ebenfalls von dem Gesetz. Sie können der Nutzung aber auch widersprechen. Bei alten Werken werden sie dafür nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ein Jahr Zeit haben.

Wenn neue, heute noch unbekannte Nutzungsarten aufkommen, läuft eine Frist von drei Monaten. Sie beginnt durch eine Mitteilung des Verlages oder der Plattenfirma, die die (bekannten) Rechte innehat. Diese Mitteilungspflicht wurde auf Drängen des Bundesrates und der Urheber aufgenommen. Künftig wird es allerdings genügen, ein Schreiben an die letzte dem Verlag oder der Verwertungsgesellschaft bekannte Anschrift zu schicken. Der Urheber muss also selbst dafür sorgen, dass er erreichbar bleibt.