: Elf Fremde
Die Bürgerbeteiligung im österreichischen Modell: Auf Einladung der Landesregierung diskutieren in Vorarlberg zufällig ausgewählte Bürger kommunale Themen und geben Empfehlungen. Jetzt hat erstmals ein landesweiter Bürgerrat ohne vorgegebenes Thema stattgefunden. Die bange Frage der Politiker: Was bewegt die Bürger?
von Eva Wolfangel
Die elf haben sich vorher noch nie gesehen. Sie sind denkbar verschieden. Menschen im Anzug und in Kapuzenjacken, Schülerinnen und gestandene Arbeiter, Hausfrauen und Manager, Einheimische und Migranten. Jetzt haben sie einen gemeinsamen Auftrag für ihr Land. Im Halbkreis sitzen sie vor einem handgeschriebenen Plakat: „Was können wir zu einer lebenswerten Zukunft beitragen?“ Werden sie das Rätsel lösen?
Faruk: „Die Leute, wo gewählt sind, sollen alle zusammen regieren, nicht nur die, wo an der Macht sind.“
Sieglinde: „Man müsste sich organisieren. Wir müssten uns selbst organisieren und aktiv werden.“
Sükrü: „Dafür gibt es doch Parteien.“
Faruk: „Politische Parteien wollen regieren, sie wollen Macht haben und weniger dem Volk dienen.“
Sükrü: „Wir müssen alle weg vom Egotrip. Nicht mal die kleinste Einheit, die Ehe, funktioniert auf dem Egotrip, das hab ich festgestellt, man muss Kompromisse eingehen.“
Im normalen Leben hätten sich Faruk, Sieglinde und Sükrü nie getroffen. Sie haben wenig gemeinsam, außer dass sie Bürger Vorarlbergs sind, des zweitkleinsten Bundeslands Österreichs, das die Einheimischen liebevoll „Ländle“ nennen.
Aber Faruk, Sükrü und Sieglinde sind Ausgewählte für ein Demokratieexperiment. An diesem Samstag finden sie sich gemeinsam mit acht anderen, einander wildfremden Personen in einem Raum des Tagungshauses Arbogast in Götzis wieder, einem kleinen Ort mitten in Vorarlberg. An den Wänden hängen Plakate, handbeschrieben mit grünem, rotem und schwarzem Edding. Sie haben Überschriften wie „Lösungen“ und „Bedenken“, „Herausforderungen“ und „Probleme“.
Vorbildung nicht nötig, das Mittagessen gratis
Vor einigen Wochen haben sie alle einen offiziellen Brief bekommen, auf dem das rote Landeswappen prangte, darunter der Briefkopf des Landeshauptmanns Herbert Sausgruber. „Was will der ausgerechnet von mir?“, hat sich Faruk gewundert. Er sei einer von zwölf zufällig ausgewählten Bürgern, schrieb der oberste Landespolitiker. Und nun sei seine Meinung gefragt: „Vorarlberg steht vor großen Herausforderungen. Um möglichst gute Entscheidungen treffen zu können, sollen neben Fachleuten auch die Bürger im Land zu Wort kommen.“ Er bitte Faruk dafür zum ersten landesweiten Bürgerrat, eineinhalb Tage lang, die Themen seien Sache der Bürger, Vorbildung nicht nötig, das Mittagessen am Samstag gratis.
Faruk hat in den 34 Jahren seines Lebens noch nie einen Politiker persönlich getroffen, geschweige denn einen, der ihn nach seiner Meinung gefragt hätte. „Jetzt zeig ich denen, wo es langgeht“, war sein erster Gedanke. Er fühlte sich geehrt. Faruk ist nicht schon immer Österreicher, obwohl er dort geboren ist. Seine Eltern waren aus der Türkei eingewandert. Der Vater hatte wechselnde Jobs, die Familie zog oft um, Deutsch lernte Faruk erst in der Schule. „Als Kind hatte ich ein Leben, wo man sich vorstellen kann, was noch kommt“, fasst er selbst zusammen: Sprachprobleme, Integrationsprobleme, keine Chance auf der höheren Schule. Aber dieses Schicksal wollte er nicht annehmen. Er beantragte die österreichische Staatsbürgerschaft, machte eine Ausbildung zum Textilveredler und bezahlte schließlich seine Meisterschule selbst von hart Erspartem. Heute ist er Schichtmeister in einem mittelständischen Textilbetrieb. Keine Frage, er ist ein Schaffer.
Dass er die Nacht zuvor kaum geschlafen hat, sieht man Faruk nicht an. Nach der ersten Einheit des Bürgerrates am Freitagabend ist er zur Nachtschicht gefahren. Nach zwei Stunden Schlaf wieder nach Götzis. Schließlich hat er Themen, die ihm auf dem Herzen liegen. Nach solchen Themen hat der Landeshauptmann ja gefragt. Faruk will über die steigenden Lebenshaltungskosten und die niedrigen Löhne sprechen. Und über seine Angst vor der Atomkraft. Im frisch gebügelten weißen Hemd sitzt er aufrecht im Kreis seiner Mitbürger aus allen Ecken des Landes.
„Wie kann ich zu einer lebenswerten Gemeinschaft beitragen?“ Die Überschrift des Plakats ist die Essenz des Vortages. „Was liegt uns am Herzen?“, überlegten die elf Auserwählten zu Beginn. Vieles ist ihnen eingefallen: dass in der Gesellschaft nur das Materielle zählt und die Herzensbildung zu kurz kommt, die Risiken der Atomkraft, Probleme im Gesundheitswesen und vieles mehr.
Dabei haben die elf grundverschiedenen Teilnehmer einen gemeinsamen Wunsch entdeckt: eine lebenswerte Gesellschaft. Aber was genau ist das? Und was können sie dazu beitragen? Ein Moderator steht in ihrer Mitte und schaut sie aufmunternd an. Noch vier Stunden Diskussion, dann müssen die elf ein gemeinsames Statement formulieren, so die Regeln des Bürgerrates, das sie dann der Öffentlichkeit präsentieren.
„Lösung 75“, schreibt der Moderator nach Sieglindes, Faruks und Sükrüs Diskussion auf das Flipchart, „Freunde anstiften zur Aktivität“.
Stammtische sind aus der Mode gekommen
In Vorarlberg grüßen sich Wildfremde auf der Straße, meist duzen sie sich, und wer an einer der vielen ländlichen Bushaltestellen wartet und auf den Überlandbus hofft, der hat gute Chancen, dass ihn vorher ein vorbeikommender Autofahrer nach seinem Ziel fragt und kurzerhand hinfährt. Dennoch mangelt es an Räumen für die Kommunikation, findet Christian Hörl, Moderator und Mitorganisator des „Dialogforums“ in Arbogast. Die Menschen leben vereinzelt, selbst Stammtische sind aus der Mode gekommen. Wo finden politische Diskussionen noch statt?
Das Modell des Bürgerrats hat sich bewährt. Auf kommunaler Ebene wurden in Vorarlberger Gemeinden bereits einige Räte veranstaltet. So forderte ein Bürgerrat in Bregenz „aktive Bürger und eine gute Integration aller Menschen, Kulturen und Generationen“, ein Bürgerrat in Hohenems empfahl unter dem Motto „Miteinander statt Gegeneinander“ Einigkeit trotz politischer Streitigkeiten. Ihre Statements und Berichte klingen euphorisch. Aber was für die Beteiligten eine Möglichkeit der politischen Bewusstseinsbildung ist, führt leider kaum darüber hinaus: Bürgerräte treffen per Definition keine verbindlichen Empfehlungen für die Politik und bleiben offenbar oft bei allgemeinen Forderungen und Erkenntnissen stehen.
Den größten Nutzen hat die Politik, die „das Ohr am Volk“ haben will, wie eine Vorarlberger Informationsbroschüre zum Bürgerrat verrät: „Aufgrund der auswahlbedingt vielfältigen Zusammensetzung der Gruppe geht es mit ziemlicher Sicherheit um Fragen, die viele Menschen in der Gemeinde bewegen“, schreibt das veranstaltende „Büro für Zukunftsfragen“, eine Stabsstelle der Vorarlberger Landesregierung. Das Büro ist stets auf der Suche nach innovativen Ideen aus der Bevölkerung und unterstützt ehrenamtliches Engagement finanziell sowie organisatorisch. Das Beteiligungsverfahren wurde von Jim Rough in den USA entwickelt, wo es sich „Wisdom Council“ nennt. Das Büro für Zukunftsfragen nennt es „eine einfache, kostengünstige und rasche Möglichkeit, Selbstorganisation und Eigenverantwortung in der Bevölkerung zu stärken“.
Auch über die Art der Diskussion haben sich die Organisatoren Gedanken gemacht. Die vielen Plakate an den Wänden sind eine „nichtlineare Methode“, erklärt Hörl, und funktionieren wie das Gehirn des Menschen: Bedenken, Ideen, Vorschläge, Probleme – wenn wir denken, erscheinen diese nicht geordnet, wir denken nicht linear. Die beiden Moderatoren schreiben jede Wortmeldung auf und kommen so schnell auf zig „Lösungen“, die Bedenken werden ebenfalls aufgenommen. Regelmäßig fasst einer der beiden zusammen, was diskutiert wurde. So entwickelt sich mit der Zeit ein Gruppenstatement.
„Freunde anstiften“, murmelt Sükrü. Dann sagt er laut: „Viel zu viele liegen auf der faulen Haut.“
Moderator: „Was können wir tun, dass nicht so viele auf der faulen Haut liegen?“
Sükrü: „Arbeitslose sollten zu sozialer Arbeit verpflichtet werden. Ich steh morgens um drei auf und buckle – und es käst mich an, wenn andere auf der faulen Haut liegen.“
Sieglinde: „Aber du musst auch überlegen, warum sie das tun. Du musst ihre Geschichte anschauen. Viele Arbeitslose würden vielleicht gerne arbeiten.“
Sieglinde war misstrauisch, als sie den Brief des Landeshauptmannes mit der Einladung zum Bürgerrat bekam. „Was soll denn das wieder für eine Volksbefriedung sein?“, fragte sie sich. Allein wegen der Abwechslung vom Alltag auf dem Schafhof entschied sie sich teilzunehmen. Sie sagt von sich, sie sei „Aussteigerin aus der Berufsszene“. Dabei ist die zierliche 50-jährige Frau mit den wachen Augen keineswegs tatenlos. 50 Schafe, eine vierköpfige Familie und die Verwaltung einer Berghütte im Bregenzer Wald sind mehr als ein Fulltime-Job. Als Jugendliche wollte sie Arzthelferin werden.
Doch nach ihrer Ausbildung starb ihre Mutter, kurz darauf ihre Schwester. Als einzige Frau im Haus lag es an ihr, den Haushalt zu führen und ihren Vater und die drei Brüder zu versorgen. „Das klingt jetzt vielleicht altmodisch, aber bei uns auf dem Land ist das so“, sagt sie. Sie habe sich der Familie verbunden gefühlt und bewusst auf ihren Beruf verzichtet. Dann kamen die eigenen Kinder, schließlich der Schafhof. Nach 25 Jahren ist kürzlich auch ihr Mann aus der Versicherungsbranche ausgestiegen. Gemeinsam führen sie nun Hof und Hütte. Sieglinde arbeitet obendrein während des langen Bergwinters als Skilehrerin. Auf der faulen Haut liegt die Aussteigerin ganz gewiss nicht. Aber sie hat Verständnis für holprige Lebensläufe.
„Lösung 79“, schreibt der Moderator schließlich auf das Plakat: „Dass sich mehr Menschen ums Gemeinwohl kümmern, motiviert auch die sonst gebundenen.“
Doch das geht der Runde nicht weit genug. „Wer nix arbeitet, sollte kein Geld bekommen“, ruft eine junge Floristin dazwischen, „als Bürgermeister würde ich Arbeitslose vor die Wahl stellen: Entweder sie leisten gemeinnützige Arbeit, oder es gibt kein Geld.“ Das Gespräch dreht sich im Kreis.
Faruk: „War denn mal jemand von euch arbeitslos? Ich würde gerne wissen, wie das ist, wie man sich so fühlt.“
Sükrü rutscht unruhig auf seinem Platz hin und her. „Ja, ich. Und das war schrecklich.“
Sükrü lebt 32 seiner 33 Lebensjahre in Vorarlberg. Geboren wurde er in der Türkei. „Ich war lange ein kleiner Nationalist“, sagt er heute von sich. Die österreichische Staatsbürgerschaft hat er erst vor acht Jahren beantragt. Und kurzfristig schien dieser Schritt tatsächlich ein Fehler gewesen zu sein. Sükrü hatte gerade seine erste Stelle nach seinem technischen Fachabitur gekündigt, als er Österreicher wurde. Aber die Freude währte kurz. Als Neu-Österreicher fehlte ihm Entscheidendes: der Militärdienst. „Wo auch immer ich mich beworben habe, niemand wollte mich nehmen, weil klar war, dass ich früher oder später eingezogen werden würde.“ Zehn Monate Arbeitslosigkeit zehrten an ihm. „Es hat wehgetan, nicht nur in finanzieller Hinsicht“, sagt er, „man rutscht einfach ab.“ Also nahm er, was er kriegen konnte, fuhr Milch aus, lieferte Käse, jobbte als Paketfahrer. „Es war alles besser, als nichts zu tun.“ In dieser Zeit lernte er seine heutige Firma kennen, einen Katzenfutter-Hersteller – am untersten Ende als kleiner Produktionsmitarbeiter. „Ich habe mit Deppenarbeit angefangen.“ Heute ist er Schichtleiter dort und führt 34 Mitarbeiter.
Sükrü: „Meine Lehre daraus ist, dass man sich nicht hängen lassen darf.“
Feedback aus der zweiten Reihe
Aber hat dafür jeder die Kraft? Die Runde diskutiert kontrovers über den Umgang mit Arbeitslosen, ein emotional besetztes Thema, gerade in Vorarlberg, wo die Menschen fleißig sind und die Arbeitslosigkeit stärker wächst als in den meisten anderen Teilen Österreichs. Noch zwei Stunden. Werden sie es schaffen, sich auf ein Statement zu einigen?
Vor der Pause kommt die sogenannte zweite Reihe nach vorne, Beobachter aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft, die im hinteren Teil des Raumes Platz genommen haben. Es ist eine ähnlich große Gruppe, die sich die Diskussionen des Bürgerrates anhört und regelmäßig Feedback gibt. Auch das gehört zum Konzept. „Ihr habt eine komplexe Frage aufgeworfen“, sagt Michael Lederer, Mitorganisator vom Büro für Zukunftsfragen, einer Institution der Landesregierung. „Wie organisiere ich mich als Gesellschaft? Ich finde das toll.“ Eine Wissenschaftlerin freut sich über den Themenumschwung: „Schön, dass das Thema jetzt nicht mehr lautet: Wir da oben, die da unten.“
Es ist diese zweite Reihe, die Sükrü Mut macht. „Das ist Egofutter pur“, sagt er rückblickend. Er wäre nie auf die Idee gekommen, sich politisch zu engagieren. Jetzt hat er Mut bekommen. Schon beim Mittagessen überdenkt er seine Position zu politischen Parteien. Vielleicht ist es sinnvoll, einer beizutreten, seine Meinung zu sagen, etwas zu bewegen? Im Gegensatz zu wenigen Tagen zuvor kann er sich das vorstellen, „auch wenn es schwer wird als Neu-Österreicher“, sagt er grinsend. Migranten sind selten in den politischen Gremien Vorarlbergs anzutreffen.
Was ist die Essenz? Am Nachmittag schreiben die elf in Kleingruppen Plakate über Plakate voll. 84 protokollierte Lösungen zieren die Wände – und jede Menge Bedenken. Aber was ist das Gemeinsame? Was wollen sie der Öffentlichkeit präsentieren? „Machtgeile Politiker und ohnmächtige Bürger“, schreibt Sükrü, zögert und setzt ein Fragezeichen dahinter. „Verloren gegangene Werte“, ergänzt die junge Floristin mit rot gefärbten Strähnchen und schwarzer Kapuzenjacke. Faruk schreibt: „Politiker, deren Macht und unser eigenes Engagement.“ Auch auf den anderen Plakaten kristallisiert sich ein Thema heraus: Der Bürger muss aktiv werden.
Eine Woche später bereut Sieglinde ihre Courage. Zusammen mit drei anderen hat sie sich bereit erklärt, die Ergebnisse des Bürgerrates der Öffentlichkeit zu präsentieren. Während sich der große Saal in Arbogast füllt, läuft sie aufgeregt auf und ab. „Kann ich das so sagen?“, fragt sie Christian Hörl. „Oje, wieso tue ich das bloß?“ Am Nachmittag hat sie noch einen Skikurs für Kinder gegeben, auf dem Berg im Bregenzer Wald. Dort könnte sie jetzt den Sonnenuntergang genießen, mit ihrem Mann und den drei erwachsenen Kindern zu Abend essen, die 50 Schafe füttern, was man halt so tut in Au. Aber muss man mit 50 noch etwas Neues ausprobieren? Hörl klopft ihr auf die Schulter. „Ich bin auch aufgeregt, sogar als Moderator.“
Sich gegenseitig motivieren zum Engagement
Als es still wird im Saal, ergreift Sieglinde das Wort: „Die Einladung zum Bürgerrat hat mich gelockt, weil ich aus dem hintersten Winkel des Landes komme und es als Tapetenwechsel ansah“, sagt sie vor den mehr als 60 Zuhörern, darunter die Landtagsvizepräsidentin Gabriele Nussbaumer, viele Bürgermeister kleinerer Gemeinden und andere Interessierte. Jetzt ist sie stolz auf die Ergebnisse des Rates. Sie erklärt, wie die Gruppe von den vielen „Herzenswünschen“ zum gemeinsamen Aufruf nach Aktivität kam. „Wir müssen uns gegenseitig mehr motivieren zu Engagement und dass wir loslegen.“
Aber auch die Zuhörer bleiben an diesem Abend nicht passiv. Sie sitzen nach dem Modell des „Weltcafés“ in Fünfer- und Sechsergruppen um kleine Tische mit Papiertischdecken, darauf Wassergläser und Eddings. Auch diese Dialogform wurde in Arbogast mitentwickelt. So kam man von der klassischen Bestuhlung ab, bei der alle Zuhörer nach vorne blicken, erklärt der Leiter des Büros für Zukunftsfragen, Manfred Hellrigl: „Da traut sich erst mal keiner, was zu sagen. Ein Einzelner kann so den ganzen Saal beherrschen.“
An diesem Abend ist das anders. Nach der Einleitung diskutieren die Gruppen an den Tischen über das Gehörte, wer will, notiert seine Gedanken auf den Tischdecken. Nach 20 Minuten ertönt ein Gong, an jedem Tisch bleibt nur einer sitzen, der sogenannte Gastgeber, alle anderen wechseln den Tisch. Der Gastgeber erklärt den Neuen, worüber der Tisch bislang gesprochen hat, so entspinnt sich eine Diskussion durch den gesamten Saal, die Menschen kommen miteinander ins Gespräch.
Manfred Hellrigl steht zufrieden am Rand. Das Konzept geht einmal mehr auf. Alle reden mit. In Gemeinden, in denen es viel Streit gab, wurde in öffentlichen Versammlungen die Sitzordnung geändert. Seit in Weltcafé-Manier diskutiert wird, geht es friedlicher zu. Wieso ist diese Methode trotzdem nicht die Regel? „Oft wollen Politiker die Kontrolle behalten“, sagt Hellrigl schulterzuckend.
Epilog: Was bleibt?
Der Bürgerrat hat sich mit dem Weltcafé wieder aufgelöst. Das ist eines der wenigen nicht verhandelbaren Dinge. Ein neuer Bürgerrat soll aus neuen, zufällig ausgewählten Teilnehmern bestehen. Und keine Konkurrenz zu politischen Gremien darstellen, so die Begründung. So ganz will man doch nicht loslassen in Vorarlberg.
Sükrü beschäftigt sich mit geschlechtergerechtem Verhalten und will seiner Frau künftig noch besser zuhören. Außerdem ist er auf der Suche nach der passenden Partei, in der er sich engagieren will.
Sieglinde hat überlegt, in ihrem Umfeld aktiv zu werden, etwa gegen die Beschneiung der Talabfahrten, wenn längst alles grün ist. Aber in so einer kleinen Gemeinde reden die Leute über einen. Mit dem Bürgerrat hätte sie weiter diskutiert. Im Dorf will sie sich nicht exponieren. „Ich denke, es ist für mich gelaufen.“
Auch Faruk hätte gerne weiter im Bürgerrat diskutiert. Er hat ein langes Gesicht gemacht, als dessen „Auflösung von oben“ verkündet wurde. Er will sich nun in seinem türkischen Bildungs- und Integrationsverein stärker engagieren.
Eine Woche nach dem Weltcafé hat sich eine offene Runde getroffen und sich mit der Frage beschäftigt, wieso das Gefühl der Ohnmacht bei den Bürgern so vorherrschend ist. Konkrete Ergebnisse gibt es nicht. „Wir wollen dranbleiben“, sagt Michael Lederer. Das Thema ist angekommen.