Ein Sieg der Finanzlobbyisten
Freitagskasino von Ulrike Herrmann Wie die EU-Kommission Banken und Versicherungen reich machen will
Es fällt leicht, sich über den neuesten Plan der EU-Kommission lustig zu machen. Aus Barmitteln von nur 21 Milliarden Euro sollen wundersame 315 Milliarden Euro werden, die dann Investitionen in ganz Europa finanzieren – und mindestens eine Million neue Arbeitsplätze schaffen. So sehen Luftschlösser aus, die garantiert zusammenfallen.
Trotzdem ist diese jüngste Idee von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht harmlos, denn sie verschiebt die Grenze des Denkbaren: Private Investoren sollen vermehrt öffentliche Aufgaben finanzieren. Das wird noch teuere Folgen haben, auch wenn der jetzige Juncker-Plan scheitern sollte.
Juncker will nämlich die mickrigen 21 EU-Milliarden „hebeln“, indem er privates Geld anlockt. Doch Investoren engagieren sich nur, wenn eine hohe oder sichere Rendite winkt. Die Kosten und das Risiko müssen also andere tragen – der Steuerzahler und die normalen Bürger.
Maut für Investoren
Die Juncker-Idee lässt sich bestens anhand des Straßenbaus erläutern: Wenn sich Staat und Privat zusammentun, um eine Brücke zu bauen, dann kann es für die Investoren nur eine Rendite geben, wenn eine Mautgebühr anfällt. Wo sollte der Gewinn sonst herkommen, wenn nicht von den Autofahrern?
Doch Autofahrer sind bekanntlich geizig und gern geneigt, Umwege in Kauf zu nehmen, um die gehasste Maut zu sparen. Es könnte also gut sein, dass die Rendite für die Investoren nicht stimmt.
Auch für diese böse Überraschung hat die EU-Kommission vorgesorgt, indem sie ihren neuen „Europäischen Fonds für strategische Investitionen“ wie eine Schattenbank agieren lässt: Der Fonds soll „strukturierte Wertpapiere“ ausgeben. Wem dieser Ausdruck bekannt vorkommt: Ja, genau. Es waren strukturierte Wertpapiere, die die Finanzkrise in den USA ausgelöst haben.
Diese Wertpapiere heißen „strukturiert“, weil sie aus mehreren Tranchen bestehen, die nach Risiko gestaffelt sind. Die „Senior-Tranche“ ist besonders sicher, während die „Junior-Tranche“ die eventuellen Verluste abfedert. Juncker stellt sich vor, dass die EU die Junior-Tranchen übernimmt, während die privaten Anleger in die sicheren Senior-Tranchen investieren. Für den Staat ist dies ein schlechtes Geschäft: Er trägt das Risiko, während sich die Investoren über garantierte Renditen freuen können.
Aber dies ist nicht die einzige Tücke. Bei Straßenbauten ist immerhin noch halbwegs erkennbar, wie sie zu einer „Rendite“ führen könnten, indem eine Maut fällig wird. Aber wie soll ein monetärer Gewinn bei Bildungsausgaben entstehen, die ebenfalls auf der Projektliste von Juncker stehen? Bisher ist – zum Glück – nicht geplant, nur noch Privatschulen zu betreiben, die Gebühren erheben. Aber wenn es keine direkte Rendite gibt, dann müssen die Zinsen für die privaten Investoren aus den Staatshaushalten kommen.
Win-Win für die Banken
Die EU-Kommission wirbt daher lieber mit Win-win-Projekten, bei denen auch der Staat profitiert, wenn sich private Investoren beteiligen. Dazu zählt die energetische Sanierung von öffentlichen Gebäuden. Ist ja klar: Wenn die Heizkosten sinken, entsteht für den Staat ein Gewinn, den er mit privaten Anlegern teilen kann, ohne dass für die Steuerzahler zusätzliche Kosten entstehen. Bleibt nur eine Frage: Warum stemmt der Staat die Gebäudesanierung nicht allein, wenn sie doch so profitabel ist? Davon hätten die Steuerzahler mehr. So müssen sie auf einen Teil der Kostenersparnis verzichten – und an private Investoren weiterreichen.
Junckers neuer „Fonds für strategische Investitionen“ ist also ein seltsames Konstrukt: Eventuelle Verluste trägt der Staat, während Investoren überzogene Renditen kassieren, obwohl viele der finanzierten Projekte gar keine erkennbaren Profite abwerfen. Was soll ein solcher Fonds?
Andere Staaten verzichten auf derartige Konstruktionen. Ob die USA, Großbritannien oder Japan: Sie nehmen einfach Kredite auf den Finanzmärkten auf – und investieren selbst. Kosten entstehen kaum, denn die Zinsen für Staatsanleihen sind derzeit extrem niedrig.
Aber in Europa greift eine seltsame Geldlehre um sich. Es gibt „gutes“ Geld – das ist das Geld, das von privaten Investoren in öffentliche Projekte fließt. Und es gibt „schlechtes“ Geld – das sind Kredite von privaten Anlegern an den Staat, der dann selbst investiert. Logisch ist diese neue Lehre vom guten und vom schlechten Geld nicht, denn es handelt sich immer um den gleichen Kreislauf: Private Investoren geben dem Staat Geld, der dafür Zinsen zahlt oder eine Rendite garantiert.
Investoren engagieren sich nur, wenn eine hohe Rendite winkt. Das Risiko tragen aber andere: die Steuerzahler
„Gutes“ und „schlechtes“ Geld
Aber logischer Unsinn kann sehr profitabel sein – für die Banken und Versicherungen. Die komplizierten Schachtel- und Fondslösungen garantieren eine sichere Rendite, die weit höher liegt als bei einer ordinären Staatsanleihe. Ein Traum für jeden Investor – und ein Albtraum für die Bürger, die diese Renditen zahlen müssen.
Juncker hat diesen Bereicherungsplan für Finanzlobbyisten zwar vorgestellt – aber er ist nicht allein schuld. Er wird von Deutschland getrieben, die Steuerzahler auszuplündern.
Denn die Situationsanalyse von Juncker ist richtig: Europa benötigt unbedingt ein Konjunkturprogramm, wenn es nicht zu weiteren Wirtschaftskrisen und zu einem Sieg der Populisten kommen soll. Es ist politisch extrem riskant, dass die Jugend in vielen Ländern keine Chance hat und die Zahl der Arbeitslosen kaum zurückgeht. Aber Deutschland ist strikt dagegen, dass neue Schulden aufgenommen werden. Also bleibt nur der Humbug, die Kredite als private „Investitionen“ zu tarnen. Das ist zwar teurer, aber wie alles hat eben auch der schöne Schein seinen Preis.
Es ist deprimierend: Neoliberale Theorien haben die Finanz- und die Eurokrise ausgelöst. Trotzdem setzen sich neoliberale Ideen weiterhin durch – wie etwa die Fiktion, dass Privat immer besser als Staat sei. Anschließend lässt man sich seine privaten Gewinne vom Staat garantieren. Ein Widerspruch? Nicht für Neoliberale.