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Archiv-Artikel

Verheerende Attentate treffen den Nordirak

Bei Anschlägen in der umstrittenen Region Kirkuk kommen 170 Menschen ums Leben. Die meisten Opfer sind Schiiten. Die Taten werden Al-Qaida-Kämpfern zugeschrieben, die sich aus Bagdad und Bakuba zurückgezogen haben

SULEIMANIA taz ■ Eine brutale Anschlagsserie hat am Wochenende den Nordirak und die irakische Hauptstadt Bagdad erschüttert. Die Bombenattentate forderten mehr als 200 Tote. Allein in der nordirakischen Region um Kirkuk wurden mindestens 170 Personen durch Sprengstoffanschläge getötet.

Am Sonntag suchten Rettungskräfte in der Ortschaft Amerli mit schwerem Gerät weiter nach Opfern. In dem Marktflecken bei Tus Churmatu südlich von Kirkuk hatten Terroristen am Samstagmorgen einen mit Sprengstoff und Nägeln bepackten Lastwagen in die Luft gesprengt. Bisher seien 150 Todesopfer und 250 Verletzte registriert worden, sagte Abbas Mohammed Amin, der Polizeichef in der Kreisstadt Tus Churmatu. Viele Menschen erlagen ihren schweren Verletzungen auf dem Weg in die Spitäler von Tus Churmatu, Kirkuk und Suleimania, weil es nicht genügend Ambulanzen gab und viele Patienten in einfachen Autos oder auf Pick-ups transportiert werden mussten.

Der Ortskern von Amerli glich einen Tag nach dem Anschlag einem Trümmerfeld. Nach Angaben des Bürgermeister, Mohammed Raschid, wurden 50 Läden und 50 Privathäuser zerstört. „Es sieht aus wie nach einem Erdbeben“, sagte der Lokalpolitiker Schalal Abdulahmed.

Die meisten Einwohner von Amerli sind schiitische Turkmenen, gemeinsam mit den Kurden bilden sie die Mehrheit in den Gebieten um Tus Churmatu. Das Gebiet, das unter dem Saddam-Regime von der Provinz Kirkuk abgetrennt wurde, wird jedoch von den Kurden beansprucht. Sie bestehen auf der Umsetzung der in der Verfassung festgelegten Wiederherstellung der alten Provinzgrenzen und auf der Abhaltung des für Ende des Jahres geplanten Referendums über den Status von Kirkuk.

Kaum jemand bezweifelt, dass die erdölreiche Region dann an den kurdischen Teilstaat fällt. Die Turkmenen fürchten jedoch, durch die kurdischen Bestrebungen weiter marginalisiert zu werden. In den vergangenen Jahren entluden sich die Spannungen wiederholt in gewaltsamen Zusammenstößen. Mit Terroranschlägen haben sunnitische Extremisten aus dem Umfeld der Terrororganisation al-Qaida in jüngster Zeit versucht, den ethnischen Konflikt zusätzlich anzuheizen.

Bis Sonntagabend hatte sich niemand zu dem Massaker in Amerli bekannt. Regierungschef Nuri al-Maliki und turkmenische Politiker machten jedoch sunnitische Extremisten verantwortlich. „Das waren Terroristen von al-Qaida, die aus Bagdad und Bakuba geflohen sind“, sagte der bekannte Abgeordnete Abbas Bajati, der selbst aus Amerli stammt. Wegen der Militäroperationen in Bagdad und Bakuba würden sich die Terroristen weniger geschützte Ziele suchen, meinte Bajati.

In der Nacht auf Samstag hatte ein Selbstmordattentäter in dem kleinen Weiler Sargosch nördlich von Bakuba 22 Gäste einer Trauergemeinde in den Tod gerissen. Die Opfer waren schiitische Kurden, die unter dem Saddam-Regime vertrieben worden waren und erst kürzlich wieder nach Sargosch zurückgekehrt waren. Wie die Gegend um Kirkuk wollen die Kurden auch das Gebiet an der iranischen Grenze in ihren Teilstaat integrieren.

Seit drei Wochen ist in der Region um Bakuba eine Großoffensive von rund 10.000 US-Soldaten im Gange, um sie der Kontrolle der „al Qaida im Irak“ und anderen sunnitischen Extremistengruppen zu entreißen. Dabei mussten amerikanische Kommandanten allerdings einräumen, dass führende Al-Qaida-Kämpfer entkommen sind. Die Anschläge vom Wochenende sind ein Hinweis darauf, dass die Streitkräfte durch die Truppenverstärkungen vielleicht genügend Soldaten für den Kampf gegen die Extremisten haben, es ihnen aber an Einheiten zum Schutz von anderen Gebieten vor Terroranschlägen fehlt. Eine Serie von weiteren Anschlägen und Fememorden forderte über das Wochenende im Großraum von Bagdad und in der westirakischen Provinz Anbar mindestens 80 Tote. INGA ROGG