flotte kommentare: Präsident ohne Instinkt
Die beiden Herren muss Besonderes verbinden. Da lässt sich ein erfolgreicher Unternehmer vor 850 Gästen feiern, obwohl die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Gegen den Mann besteht Haftbefehl; mit Sekt anstoßen darf er nur, weil er 250.000 Euro Kaution hinterlegt hat. Der andere Herr, Präsident des Abgeordnetenhauses, wünscht ihm, dass er „da gut rauskommt“. Manchmal fragt man sich, mit wie wenig Instinkt Politiker in ihrem Beruf bestehen zu können glauben.
KOMMENTAR VON BERT SCHULZ
Walter Momper, der Gratulant und als Projektentwickler nicht unerfahren in der Berliner Geschäftswelt, ist schon in der Vergangenheit durch eine gewisse Tollpatschigkeit aufgefallen. Zuletzt, als der 62-Jährige im Herbst Klaus Wowereit vorschnell und offenbar in Unkenntnis der Geschäftsordnung zum Regierenden Bürgermeister kürte.
In der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses stehen auch die übrigen Aufgaben des Präsidenten. Unter anderem muss er die Würde des Hauses wahren und die Sitzungen „gerecht und unparteiisch“ leiten. Sicher nicht der prickelndste Job, aber Momper hat ihn sich ausgesucht. Und immerhin sieben Legislaturperidoden dafür geübt, bevor er ihn 2001 antrat.
Für einen Politiker, der in der Zeit der Wiedervereinigung Westberlin kurze Zeit regierte – und danach blass blieb –, ist diese Mischung aus Rumstehen und Repräsentieren eigentlich genau das Richtige. In jener Zeit entstand auch das Klischee von Momper als dem „Mann mit dem roten Schal“, mit dem er es sogar in die Geschichtsbücher geschafft hat. Wenn ihm etwas daran liegt, dass er dort bleibt, sollte er sich für den Rest seiner Präsidentschaft lieber hinter dem roten Schal verstecken – und eine Nachschulung im Fach „Wann stehe ich nur rum und repräsentiere in aller Stille“ antreten.
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