: Garten Eden gesucht
Tasmanien besteht fast zur Hälfte aus Nationalparks – mit einer aus europäischer Sicht fabelhaften Tierwelt. Doch im „Weltnaturerbe“ sind die Spuren grober Umweltsünden an vielen Stellen sichtbar
Geschichte: Tasmanien gehörte vor Millionen Jahren zum Mega-Kontinent Gondwana. Die gewaltige Landmasse zerbrach im Jura in die Kontinente der südlichen Hemisphäre. Vor etwa 12.000 Jahren wurde Tasmanien vom australischen Festland abgetrennt. Seither entwickelt sich die Tier- und Pflanzenwelt weitgehend isoliert. Klima: Grundsätzlich sind die Sommer mild (im Durchschnitt etwa 20 Grad), im Winter sinkt das Thermometer in den Höhenlagen bis auf 10 Grad minus. Das Wetter ist indes unberechenbar, so kann es in den Bergen auch im tasmanischen Hochsommer (Januar) durchaus mal schneien. Freizeit: Tasmanien ist ein Paradies für Wanderer. In den Nationalparks gibt es zahllose, gut ausgeschilderte Trails. Die kürzeren sind durchaus auch für Kinder geeignet, mehrtägige Wanderungen im Westen erfordern gute Planung und Kondition. Zum Schwimmen ist der Südpazifik mit 13 Grad selbst im Sommer zu kalt. Anreise: Tasmanien wird ausschließlich von Australien aus angeflogen, etwa von Quantas (www.quantas.com.au) oder Virgin Blue (www.virginblue.com.au). Eine Alternative sind die Fähren der TT-Line, die regelmäßig von Melbourne und Sydney nach Devonport fahren (www.tt-line.com.au) HIM
VON HILJA MÜLLER
Endlich schlafen die Kinder, die unbedingt noch den späten Sonnenuntergang am anderen Ende der Welt miterleben wollten. Erster Urlaubsabend im tasmanischen Sommer, Heiligabend im fernen Deutschland. Erst kurz nach 21 Uhr wird es dämmrig, in den Eukalyptusbäumen vor der Holzhütte rabauken Vögel. Noch einmal rausgehen, die unglaublich klare Luft atmen. Da löst sich aus dem Schatten der Bäume ein kleines Tier, vielleicht ein Hase. Es kommt näher, auf keinen Fall ein Hase. Eine Riesenratte? Aber warum dieser hoppelnde Gang und die superkurzen Vorderbeine? Wir schauen uns an, das unbekannte Wesen und ich, dann verschwindet es in der Dämmerung. Eine rätselhafte Insel ist Tasmanien, diese kleine Landmasse vor Australiens Südostküste, deren Tiere und Pflanzen sich über Jahrtausende in völliger Isolation entwickelten.
Der nächste Tag bringt die Erklärung. „Das war ein Potoroo oder Rattenkänguru“, weiß der strohblonde Ranger im Tasmanian Devil Park. Der Tasmanische Teufel, noch so eine fremde Kreatur. „Sie sind faul, langsam und lausige Jäger – aber sie haben ein teuflisches Gebiss, daher der Name.“ Das fiese Geräusch krachender Knochen bestätigt den Ranger. Die schwarzen Tierbabys mit den niedlichen Knopfaugen mutieren während der Fütterungszeit im Gehege zu knurrenden kleinen Bestien, die wütend an blutigen Kadavern zerren. Na, dann doch lieber nebenan Kängurus und deren kleinere Verwandte, Wallabies, füttern. Wombats und Possums verschlafen indes den warmen Vormittag.
Aus europäischer Sicht ist Tasmaniens Tierwelt fraglos fabelhaft. Neben den zahlreich vorkommenden Beuteltierarten sind mit Glück auch das schwimmende Schnabeltier (Platypus) oder der stachelbewehrte Ameisenigel (Echidna) zu sichten. Beliebt ist das Eiland auch bei den „Fairy Penguins“, den kleinsten Pinguinen der Welt. Allabendlich tauchen die behänden Schwimmer aus dem eisblauen Südpazifik auf und watscheln in breiter Front in die angrenzenden Dünen, um ihre hungrige Brut zu füttern.
Ein Highlight für Touristen: Beobachtungsposten wie auf Bruny Island, ganz im Süden Tasmaniens, garantieren im Sommer einen guten Blick auf die Pinguinparade. Ein Ranger passt auf, dass die 2.000 Brutpaare nicht allzu sehr gestört werden. Am anderen Ende Tasmaniens, im kleinen Ort Devonport, sind es Urlauber, die täglich zu Hunderten an Land gehen. Seit Mitte 2002 pendeln Megafähren zwischen dem australischen „Festland“ und Tasmanien und bescheren der Insel einen Touristenboom. Etwa 800.000 Urlauber besuchen pro Jahr das zuvor eher unbeachtete Eiland, das es nur auf 480.000 Einwohner bringt. Ein Ansturm, dem Tasmanien bisher gewachsen ist. Die Touristenströme verteilen sich gleichmäßig auf die wilden Nationalparks im Westen und die traumschöne Küste im Osten.
Europäer zieht es von jeher nach Tasmanien: von dem Holländer Abel Tasman 1642 entdeckt, von Franzosen 1792 ausgekundschaftet und ab 1803 von den Briten besiedelt. Rasch hatte die isoliert gelegene Kolonie unter Tier- und Pflanzenkundlern den Ruf weg, ein irdischer Garten Eden zu sein. Heute noch ist Tasmanien ein Paradies für Freunde unberührter Natur: Etwa 40 Prozent der Insel sind als Nationalpark ausgewiesen, und fast ein Viertel der Landfläche trägt das Prädikat „Weltnaturerbe“.
Wer indes die Nord-Süd-Route über die A 1 fährt, mag sich fragen, wofür er um die halbe Welt gereist ist? Lichte Wälder, Felder und schwarzweiße Kühe auf den Wiesen erinnern stark an vertraute Bilder aus der Heimat.
Dieser ebene, kultivierte Landstrich ist jedoch die große Ausnahme im ansonsten eher rauen Tasmanien. Besonders im Westen durchziehen tief zerklüftete Gebirgszüge die Insel, deren Ausläufer sich zu mächtigen Steilküsten aufhäufen. Dichter, moosiger Regenwald macht riesige Gebiete extrem schwer zugänglich. Und so kommt es, dass auch 200 Jahre nach der englischen Erstbesiedlung weite Gebiete Tasmaniens Terra incognita sind.
Die Briten machten sich damals das undurchdringliche Terrain zunutze und gründeten fluchtsichere Gefängniskolonien auf Van Diemen’s Land, wie die Insel zunächst hieß. In Port Arthur und in der Maquarie-Bucht malochten tausende Häftlinge unter brutalsten Bedingungen in Minen und im Schiffsbau, und so war das Eiland bald verschrien als Demon’s Land, Dämonenland. Auch die Aborigines bekamen die harte Hand der Kolonialherren zu spüren. Binnen wenigen Jahrzehnten waren die Ureinwohner durch Verfolgung und eingeschleppte Krankheiten vollständig ausgerottet.
Außer restaurierten Ruinen der Arbeitslager erinnert heute nichts mehr an diese dunkle Epoche. Geblieben ist die wilde Schönheit der Natur. Eine der spektakulärsten Gegenden ist der Cradle Mountain – St. Claire National Park. Enge Schluchten, wildes Moorland, verträumte Seen und stürmische Bergkuppen erwarten Wanderer, die sich auf die etwa sechstägige Durchquerung des Parks machen. Leichtsinn kann dabei böse Folgen haben: „Hier kann es auch im Sommer schneien“, warnt ein Schild im Besucherzentrum. In der Tat ist das Wetter in Tasmanien äußerst wechselhaft.
Trotz dieser Widrigkeit hat sich das Örtchen Strahan an der Westküste zum Touristenmagneten entwickelt. Attraktionen sind eine Fahrt durch den Regenwald mit einer Dampfeisenbahn oder eine Schifffahrt auf dem ursprünglichen Gordon River. Wer diese Natur-light-Erlebnisse mag, muss dafür tief in die Tasche greifen. Zum Nulltarif hingegen gibt’s den Blick auf eine der übelsten Umweltsünden, die Tasmanien zu bieten hat. In den Bergen oberhalb Strahans wurden einst ohne Rücksicht auf Verluste Erze abgebaut. Bis heute sehen die erodierten Berghänge um die Minenstadt Queenstown aus wie eine Mondlandschaft . Den passenden Namen für die unwirtliche Gegend hat ein Unbekannter auf das Ortsschild gekritzelt: Mordor, jene Welt des Bösen in Tolkiens Werk „Herr der Ringe“.
An anderer Stelle konnten Umweltschützer das Schlimmste verhindern: Tausende blockierten Anfang der 80er-Jahre in kleinen Booten den wild tosenden Franklin River und retteten ihn vor einem gigantischen Dammprojekt zur Stromgewinnung. Wenig später wurde die einzigartige Flusslandschaft zum Weltnaturerbe erklärt. Heute kämpft die von der Tasmanian Wilderness Society (TWS) angeführte grüne Bewegung vor allem gegen die Holzindustrie, die mittels Kahlschlag und Brandrodung ganze Wälder plattmacht. Touristen sehen wenig davon, denn am Straßenrand bleiben einige Reihen Bäume als grüne Fassade stehen. Heiß entbrannt ist der Kampf ums 80 Kilometer westlich der Hauptstadt Hobart gelegene Styx Valley. Im „Tal der Riesen“ wachsen seit Jahrhunderten Eukalyptusbäume gen Himmel, die zu den höchsten der südlichen Hemisphäre gehören. Die Holzindustrie zeigt wenig Respekt vor den Baumveteranen und will sie zu Holzspänen gehäckselt verscherbeln. Der TWS ist im Mai 2005 ein Teilsieg gelungen, große Bereiche des Styx-Tals sind nun vor Motorsägen sicher.
Nicht ausgeschlossen, dass auch das „Tal der Riesen“ bald als Weltnaturerbe vor jedem Eingriff sicher ist. Ein irdischer Garten Eden ist es zwar nicht ganz, dieses Tasmanien. Aber es kommt der Vorstellung davon immer noch verdammt nah.