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Archiv-Artikel

Die alte, neue Garde der Enthüller

KONFERENZ In London diskutieren Hacker und Investigativjournalisten drei Tage lang über die Lehren aus den Snowden-Enthüllungen. Julian Assange wird unter anderem per Video zugeschaltet. Ergebnis ist vor allem die Erkenntnis, dass das Thema gar nicht so neu ist

Die Konferenz

■ Wer kam? Zum „Logan Symposium“ in London kamen am Wochenende prominente Hacker, Whistleblower, Aktivisten und Investigativjournalisten aus der ganzen Welt. Darunter zum Beispiel der US-Investigativjournalist Seymour Hersh und der Whistleblower Daniel Ellsberg.

■ Wer war per Videokonferenz zugeschaltet? Wikileaks-Gründer Julian Assange, die Snowden-Dokumentaristin Laura Poitras und der Kryptografieexperte Jacob Appelbaum konnten nicht persönlich teilnehmen, weil sie entweder wie Assange im Isolationsexil sitzen oder die Einreise nach Großbritannien aus rechtlichen Gründen fürchten.

■ War die Angst berechtigt? Im August 2013 wurde der Lebenspartner des Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald stundenlang am Londoner Flughafen auf Basis von Antiterrorgesetzen festgehalten und verhört. Ein Gericht befand das später für rechtens.

AUS LONDON MARTIN KAUL

Zwei in Schwarz gekleidete Männer sitzen im Scheinwerferlicht auf der Bühne, jeder auf einem Stuhl. Gleich diskutieren sie die historische Frage: Was, verdammt noch mal, ist eigentlich ein Hacker? Es geht um den KGB, den Verfassungsschutz und um Anstand. Der eine Mann spielt gerade den Hacker Pengo, der andere Wau Holland, den Mitbegründer des Chaos Computer Clubs. Es geht um ein Rededuell, das zwischen den beiden 1989 in Amsterdam stattgefunden hat.

Im Publikum sitzen Hunderte Leute, die aus allen Teilen Europas nach London zum Logan Symposium 2014, einer Konferenz von Hackern und Investigativjournalisten, gekommen sind. Dabei sind einflussreiche Informationsaktivisten der Gegenwart: Snowdens Rechtsbeistand Sarah Harrison, Snowdens Vertraute Laura Poitras und Wikileaks-Gründer Julian Assange sind zugeschaltet, aber auch Größen wie Seymour Hersh zum Beispiel, der während des Vietnamkriegs 1969 US-Kriegsverbrechen öffentlich machte und 2004 maßgeblich an den Recherchen über US-Folter in dem afghanischen Gefängnis Abu Ghraib beteiligt war.

London, Freitagabend. Im Auditorium diskutieren also Pengo und Wau Holland. Wau ist längst tot, aber Pengo, der eigentlich Hans Hübner heißt, sitzt in der fünften Stuhlreihe und betrachtet, wie sein damaliges Treiben heute auf der Bühne interpretiert wird. Er hält sein iPhone hoch und filmt die Inszenierung.

Pengo, der als Jugendlicher intensiv herumgehackt hat, verkauft irgendwann sein Wissen an einen Mittelsmann der russischen Handelsmission. Andere sagen deutlicher: an den KGB, den russischen Geheimdienst. Später packte er als Informant des deutschen Verfassungsschutzes umfassend aus und profitiert von einer Kronzeugenregelung. Anfang August 1989 trifft er auf der Galactic Hacker Party im Paradiso auf Wau Holland, den Mitbegründer des Chaos Computer Clubs. Sie diskutieren folgende Fragen: Ist man als Hacker, als Info-Aktivist einer Ethik verpflichtet? Einer Politik oder den Menschen? Einem Staat gar?

Wau Holland hatte darauf eine klare Antwort: Ein Hacker muss einer sein, der sich der Gesellschaft verpflichtet fühlt, nicht irgendwem sonst. Diese Debatte fand vor 25 Jahren statt, aber sie ist noch immer aktuell.

Hacker, Informanten, Geschichtsschreiber der Jetztzeit sind weltweit in Gefahr. Chelsea Manning: im Knast. Edward Snowden: im russischen Exil. Julian Assange: in einem Botschaftszimmer in London. Was hier in London interessant ist: dass die alte Garde der Enthüller auf die junge trifft.

Wenn der britische Investigativjournalist Duncan Campbell zum Beispiel etwas hölzern auf der Bühne steht und aus der Vergangenheit berichtet, wird eines deutlich: dass die Kämpfe der jungen Garde, im Wesentlichen, nichts Neues sind. 1976, vor annähernd 40 Jahren, war es Campbell, der in Großbritannien die Existenz einer bis dahin geheimen Behörde bekannt machte: die der GCHQ, des Government Communications Headquarter, der britischen Geheimdiensteinheit für technische Spionage. Später, im Jahr 1988, deckte er die Existenz des Überwachungsprogramms Echelon auf, eines weltweiten Spionagenetzes zur Überwachung satellitenbasierter Kommunikation. Beides kann als Grundlagenarbeit für das angesehen werden, was Edward Snowden mit seinem Wissen 2013 vervollständigte: eine Kartografie der Macht zu entwickeln, die systematisiert zusammenträgt, wie die global agierenden Nachrichtendienste operieren.

Ist man als Hacker einer Ethik verpflichtet? Einer Politik oder den Menschen? Einem Staat gar?

Auch Daniel Ellsberg ist an diesem Wochenende hier in London. Es ist nicht abwegig, ihn an den Beginn einer nachkriegsgeschichtlichen Erzählung des Whistleblowing zu stellen. Ellsberg war es, der 1971 die geheimen „Pentagon-Papiere“ an die Öffentlichkeit brachte. Die Papiere offenbarten, dass verschiedene US-Regierungen nacheinander die Öffentlichkeit systematisch belogen hatten. Es war ein Epochenbruch.

Als Ellsberg die drei größten Whistleblower der Nachkriegsgeschichte aufzählen soll, nennt er sich selbst, dann Chelsea Manning (2010) und dann Edward Snowden (2013). Die letzten zwei Namen zeigen: Der zweite Meilenstein des Whistleblowing ist einer, der in der Jetztzeit liegt. Das allein ist schon ein Verdienst dieses Kongresses: dass er an die Geschichte anknüpft, dass er die Alten zusammenbringt mit den digitalen Dissidenten von heute und, vielleicht, ein paar Revolutionären von morgen. Es geht um die Frage, wie wir Geschichte wahrnehmen, wie sie geschrieben wird, wie wir sie erzählen. Darum, was mit Informationen passiert, die Hacker sich verschaffen oder Journalisten bekommen. Es geht um Pengo, um Wau und um die Verantwortung für morgen.

Wau Holland ist tot, aber die Stiftung, die seinen Namen trägt, gehört heute zu den wichtigen Unterstützern von Wikileaks, von Julian Assange, einem Mann, der über gewaltige Wissensarchive verfügt.

Am Samstag wird Julian Assange zugeschaltet. Sein Bild flimmert gelbstichig von der Großleinwand. Er sitzt in dieser ecuadorianischen Botschaft in London, nicht weit von diesem Kongresszentrum, aber er kommt dort ja nicht raus. Zunächst wird ihm das Publikum vorgestellt. Hier säßen seine Freunde, heißt es. Diejenigen, die für den zivilen Staat kämpften und gegen den Überwachungsstaat. Assange setzt kurz ein: Ein, zwei Feinde, sagt er, seien doch sicher auch dabei. Dann spricht er von der Gegenwart. Er spricht nachdenklich und ohne große Parolen. Denn so ist das ja manchmal im Umgang mit der Geschichte: Sie kann so erhellend sein, aber auch so frustrierend. Sie zeigt, es geht vorwärts, aber in sehr kleinen Schritten.