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Archiv-Artikel

Die Jeinsager

Und dazu ein freier Vogel: Theaterlabor gibt Brechts „Jasager und Neinsager“ als Affirmation der Auflehnung

Bertolt Brecht war ein gutmütiger Mann. Er vertrat die Ansicht, dass der Mensch lieber im Wohlstand lebe als in Drangsal und Not und dass er, wo immer möglich, den Verhältnissen ein zufriedenes Jaaa entgegenschnurren wolle. Auflehnung macht nur Mühe. Doch wo die Verhältnisse nicht hinnehmbar sind, wird das Schnurren zum Murren, und die Menschen sagen’s ungern, aber sie sagen: Nein (um später desto kraftvoller Ja zu sagen.) Diese einfache Anthropologie liegt Brechts Idee von Kommunismus ebenso zugrunde wie seinem epischen Theater.

Mit seinem kombinierten Lehrstück vom „Jasager und Neinsager“ – nach einer japanischen Vorlage aus dem 15. Jahrhundert – wollte Brecht zeigen, wie ein Ja zum Nein wird. Ein Junge begleitet eine Gruppe Forscher ins Gebirge. Er will Arznei für seine kranke Mutter. Auf der gefährlichen Fahrt wird er selbst krank und den anderen zur Last. Ja, er stimmt schließlich zu, dass man ihn dem Brauch gemäß ins Tal zu Tode stürze. In der Neinsager-Version erkennt der Knabe jedoch, dass, wer A sagt, nicht B sagen muss. Er kann auch Heldenpathos gegen Vernunft tauschen und erkennen, dass A falsch war. Er kann Nein sagen.

Im Theaterlabor am Güterbahnhof wird diese Freiheit mit Ernst und Überschwang gefeiert. In der Produktion von Patrick Schimanski referieren die 16 Darsteller des Kollektivs Brechts Text in Chorälen und Stakkato-Sentenzen. Bis zu vier Theaterlaboranten stellen als Gruppe eine Figur dar, sich das Wort ergänzend wie Tick, Trick und Track. Den aufs Vorbildlichste ungerührten Vortrag ergänzen eine spartanische Bühne und Verfremdungseffekte, wie sie im Buche stehen, Knaben spielende Frauen etwa. Der Fokus liegt jederzeit auf dem Ausdruck.

Anders als Brechts Vorlage nimmt das Theaterlabor jedoch eine klare Wertung zugunsten des Neinsagers vor. Der Junge, der den Talsturz ablehnt, wird einer konturlosen Gratis-Idee von Mainstreamgesellschaft entgegengestellt, die grundlos am Brauch festhält. Genauso unmotiviert und ohne erzählerische Funktion kommt das Nein des Knaben rüber: wie ein Zauberwort. Auf der Hintergrundleinwand dazu fliegt ein freier Vogel. Diese Affirmation gerät zum Kitsch. So wird das unbegründete Nein per se zum halbgaren Jein – und das angenehm herbe Spielaroma erhält einen schalen Nachgeschmack. ROBERT BEST

Vorstellungen: 27./ 28.7., 3./4.8. jeweils 20 Uhr, Güterbahnhof – Tor 48. Weitere Infos: ☎ (04 21) 80 58 254