: „Verwandte winkten rüber“
Ich war zwölf, als wir 1955 nach Westberlin flohen. Das Haushaltswarengeschäft meiner Eltern in Eberswalde wurde wegen friedensfeindlicher Aktivitäten geschlossen. So hieß das damals. Als die Volkspolizei vor der Tür stand und meinen Vater festnehmen wollte, sind wir sofort mit dem Zug nach Berlin geflüchtet.
Ich dachte noch, wir würden irgendwann wieder zurückgehen, weil sich die DDR sowieso nicht lange halten würde. An dem Wochenende nach dem 13. August bin ich mit dem Fahrrad rumgefahren. Die Aufregung war ja gewaltig.
Ich hatte meine Voigtländer-Kamera dabei, die ich mir von meinem Lehrlingsgehalt zusammengespart hatte. An der Friedrichstraße standen Panzer und Jeeps mit Maschinengewehren. Am Anhalter Bahnhof waren es Polizeimotorräder. Überall versuchten Menschen ihren Freunden und Verwandten auf der anderen Seite mit Taschentüchern zuzuwinken oder einfach Dinge zuzurufen. An den Stellen, wo nicht nur Stacheldraht benutzt wurde, mauerten sie noch richtig. Nicht mit Betonteilen, sondern mit gegossenen Ziegeln.
Auf jeden Maurer kamen zwei Vopos. Ich habe alles fotografiert. Dabei habe ich mich aber hinter der Kamera versteckt, um irgendwie die Distanz zu wahren. Wir hatten ja einfach Angst vor militärischen Auseinandersetzungen und viele fürchteten damals den dritten Weltkrieg.
Für mich war das sowieso erst mal das Ende. Meine Hoffnung, in meine Heimat zurückzukehren, war damit zerstört.
■ Berthold Noeske, 68, ist taz-Leser und wohnt mittlerweile in Freiburg. Er wurde nach dem Mauerbau Sozialarbeiter. Heute ist er in Rente.