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Archiv-Artikel

die anderen über die bedeutung der vorgezogenen parlamentswahl in der türkei

Die römische Zeitung La Repubblica sieht Ministerpräsident Erdogan als Gewinner: Dass die konservative Partei von Ministerpräsident Erdogan gewinnen wird, steht bereits fest. Nicht so klar ist jedoch, ob er wieder allein regieren kann oder ob er mit einer anderen Partei eine Koalition eingehen muss. So könnten es wahrscheinlich zwei weitere Parteien schaffen, die Zehnprozenthürde zu überwinden und ins Parlament zu kommen, die Sozialdemokraten und die nationalistischen Grauen Wölfe. Falls Erdogan am Ende die Stimmen nicht ausreichen sollten, könnte es auf diese beiden Parteien zukommen, dem islamischen Ministerpräsidenten in den nächsten fünf Jahren zur Seite zu stehen, in einer Koalition also, die sich als eindeutig rechtsorientiert erweisen dürfte. Aber die Türkei ist immer schon ein konservatives Land gewesen, in der die Linke lediglich in zwei von 80 Jahren der Republik an der Macht war.

Für die britische Zeitung Independent geht es um eine grundsätzliche Entscheidung: Die Wahl am Sonntag wird wahrscheinlich leider nicht die inneren Widersprüche der Türkei lösen. Die regierende AKP wird wahrscheinlich ihre Macht mit einer gekürzten Mehrheit behalten. Aber es bleibt ein Fragezeichen bei der Identität des neuen Kandidaten, den die Partei für das Amt des Präsidenten nominieren will. Wenn sie einen weiteren Kandidaten mit einem Hintergrund im politischen Islam vorschlägt, könnte eine neue Verfassungskrise bevorstehen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass wir uns am Anfang eines Ringens um die Seele der Türkei befinden. Es ist ein Kampf mit Auswirkungen für die Demokratie, den Islam und Säkularismus in der ganzen Welt. Er wird die Zukunft von Europa und dem Nahen Osten prägen. Ob wir es erkennen oder nicht, wir alle haben ein großes Interesse an dem Ergebnis.

In Österreich kommentiert Der Standard: Selbst wenn Premier Recep Tayyip Erdogan haushoch gewinnt, der wirkliche schwierige Part, die Wahl des Präsidenten, deren Scheitern zu der Krise geführt hatte, steht noch bevor. Wichtig für die Türkei ist, dass der neue Präsident nicht zum Symbol einer wiedererstarkten Armee wird. Abgesehen davon, dass eine Regierung unter Erdogan wohl die Krise am besten bewältigen kann, hätte eine AKP-Führung auch den Vorteil, dass der drohende Einmarsch des türkischen Militärs in den Nordirak verhindert werden könnte. Denn dieser würde nicht nur das Verhältnis der Türkei zu den USA massiv schädigen, sondern auch die soziale und wirtschaftliche Integration der Kurden in der Türkei völlig unmöglich machen.