APPLAUS FÜR FRAU WEBER VON DER „ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND“, DIE JETZT DAS RECHT BRECHENDE „GUTMENSCHENTUM“ EINIGER HAMBURGER KULTURSCHAFFENDER ANGEZEIGT HAT
: Was gegen die Gesetze ist, ist falsch – oder?
Foto: Lou Probsthayn
KATRIN SEDDIGEine gelungene Integration in die Gesellschaft kann gelingen, wenn die deutsche Mehrheitsbevölkerung, die Zuwanderer und die staatlichen Behörden sich um ein offenes und tolerantes Miteinander der verschiedenen Personengruppen in der Hansestadt bemühen.“ So steht es im Fazit einer Studie, die dieser Tage von der Hamburger Sozialbehörde vorgestellt wurde. Befragt worden waren dabei mehr als tausend Menschen, davon 146 Migranten, und wie sich herausstellte, fühlt sich eine Mehrheit, nämlich 98 Prozent – Migranten oder keine – sehr wohl in ihrem Stadtteil.
Das ist erst mal schön, der Mensch neigt dazu, sein Leben als ein von ihm selbst so eingerichtetes zu sehen, sein Wohnzimmer gemütlich zu finden und seine Freunde okay. Nicht okay sind nur die Anderen, die man sich nicht aussuchen kann. Aber selbst in dieser Hinsicht, so geht es aus der Studie hervor, ist der Hamburger – Migrant oder Nichtmigrant – durchaus willig, in Frieden mit anderen Nationalitäten und deren Religion zu leben, ja: rund die Hälfte der Menschen würde es sogar begrüßen, wenn sie mehr Kontakt mit welchen anderer Herkunft hätten – so lange diese nicht ausgerechnet Sinti oder Roma sind, denn mit denen möchte der Hamburger Erhebung zufolge eigentlich keiner in unmittelbarer Nachbarschaft leben oder sich auch nur näherkommen, ob Migrant oder Einheimischer.
Die Sinti und Roma sind von der allgemeinen Toleranz also irgendwie ausgeschlossen. Warum, weiß ich nicht, ich kenne keine und wenn ich welche kennen würde, dann könnte ich ja nicht von diesen auf andere schließen. So wie ich auch nicht von der Hamburger AfD-Frau Karina Weber auf andere Deutsche geschlossen haben will, auf mich zum Beispiel. Diese Frau Weber erklärt auf ihrer Internetseite nämlich, warum die AfD eine Strafanzeige gegen Amelie Deuflhard, die Intendantin des Hamburger Kulturzentrums Kampnagel, stellen musste.
Die AfD steht nämlich auf Seiten von Recht und Gesetz und Frau Weber, deren Herz für den Pferdesport schlägt und die sich schon mit Herrn Schill und der „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ für Recht und Ordnung einsetzte, tut dies mutig auch heute wieder: Die Intendantin Deuflhard hat auf Kampnagel sechs Lampedusa-Flüchtlinge einziehen lassen in ein Kunstwerk, das eigentlich für das diesjährige Sommerfestival errichtet und wieder abgerissen werden sollte.
Dieses Kunstwerk wiederum nennt Frau Weber auf ihrer Website ein „sogenanntes Kunstwerk“, wohl weil weil Frau Weber ein messerscharfes Kunstverständnis besitzt und genau weiß, welche Kunstwerke richtige und welche nur „sogenannte“ sind, Frau Weber selbst benutzt übrigens gerne schwarzen Kajal rund um ihre Augen herum, das ist meinem eigenen unmaßgeblichen Modeverständnis nach ein kleiner modischer Ausrutscher, das hat man vor 30 Jahren gemacht, aber das nur so am Rande, weil wir gerade über Kunstverstand und Geschmack sprachen.
Aber Frau Weber hat ja recht: Wenn was gegen die Gesetze ist, dann ist es falsch, oder? Wenn man also hört: Da bringt jemand im Winter flüchtige Menschen in einem Haus unter, das sowieso schon da steht, finanziert das Ganze komplett per Crowdfounding und bietet diesen Menschen, mit denen das beteiligte Künstlerkollektiv und diese Frau Deuflhard persönlich gesprochen haben, die sie gesehen und kennengelernt haben, ein Bett und ein Dach über dem Kopf an, und das alles auch noch „unter dem Mantel des Gutmenschentums“ (so steht es wieder auf der Website von Frau Weber), dann muss man, der selbst nichts weiß von alldem, der keinem einzigen Flüchtling je ins Gesicht gesehen hat, diesen anderen ganz schnell anzeigen.
Wegen der Gesetze. Weil die Gesetze schon immer die höchste moralische Instanz darstellten, man erinnere sich. Man krame in der Geschichte – Gesetze waren schon immer moralisch einwandfrei. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.