die taz vor 15 jahren über die erfolge der postkommunisten in osteuropa :
Wróc Komuno, Kehr zurück, Kommune – mit dieser ironischen Aufforderung wird in Polen nicht auf die Pariser Kommunarden angespielt, sondern auf die Erfolge der Wende-Kommunisten in Ost- und Südosteuropa. Die frischgebackenen Sozialisten Polens, Ungarns und der CSFR erreichen Ergebnisse zwischen 10 und 15 Prozent. Nicht nur die alten Nomenklaturisten wählen sie, sondern auch die Arbeiter strukturschwacher Großbetriebe, die verunsicherten Beschäftigten der LPGs. Aber sie sind in ihrer Klientel eingemauert. Der um sich greifende Überdruß an der Demokratie wendet sich eher den Rechtspopulisten zu.
Ganz anders die Situation in Südosteuropa. In Rumänien und Serbien behaupteten sich die Kommunisten, erfolgreich zu Verteidigern der Nation mutiert, an der Macht. In Bulgarien ist ihre Massenbasis ungefährdet. Eine Ursache für den ungebrochenen Einfluß der alten Machteliten auf dem Balkan liegt in der Instabilität der neuen demokratischen Parteien. Den demokratischen Revolutionären der ersten Stunde fehlte es an politischer Erfahrung. Sie wurden schon nach kurzer Zeit von Gruppierungen – sei’s ausgegrenzt, sei’s vereinnahmt –, deren geistiges Inventar aus den abgezehrten Formeln der Zwischenkriegszeit stammt. Der ursprüngliche Impetus, mitzuhelfen an der Geburt einer vielfältigen politischen Kultur, verkümmerte rasch. Aber kann denn die civil society in einem Milieu der Massenarmut, des Zerfalls sozialer Bindungen, der um sich greifenden Gesetzlosigkeit gedeihen? Wo es an Grundstrukturen der bürgerlichen Gesellschaft fehlt, wird die Luft auch dünn für demokratische Verbände, für unabhängige Gewerkschaften, für eine freie Presse. Das im ehemaligen „Ostblock“ umlaufende Schlagwort von der „Rekommunisierung“ ist deshalb verfehlt. Nicht die „Kommune“, sprich der Realsozialismus, droht aufs neue, sondern die Verstaatlichung der Gesellschaft unter der Flagge einer hybriden Ideologie. Christian Semler, taz v. 3. 8. 1992