Die Hipness-Falle

Der Buchhändlerkeller ist eine alte Berliner Literaturinstitution. Sie soll nun fesch werden und jedes Jahr aufs Neue beim Senat bescheidenste Fördergelder beantragen. Die Macher sind erstaunt

„Arm, aber sexy“ –Berlin soll sich bitte immer schön aufhübschen

VON JÖRG SUNDERMEIER

Der Buchhändlerkeller zählt zu den alteingesessenen und wichtigen literarischen Institutionen der Stadt. Vor nunmehr vierzig Jahren wurde er gegründet. Zunächst residierte er unter der Trägerschaft des 1951 gegründeten Arbeitskreises Berliner Jungbuchhändler e. V. im Keller einer ehemaligen Bäckerei in Friedenau, seit 1976 ist er im Parterre des Hauses Carmerstraße 1 zu finden.

Bis zu seinem plötzlichen Tod im Januar 2004 lenkte der legendäre Gründer des Buchhändlerkellers, K. P. Herbach, die Geschicke. In dieser Zeit wurden im Keller viele Autorinnen und Autoren bekannt gemacht. Edgar Hilsenrath wurde von Herbach an einen deutschen Verlag vermittelt, Falko Hennig wurde gefördert, unzählige heute gerühmte AutorInnen traten hier mit ihren ersten Büchern auf.

Nach dem Tode Herbachs beschloss man, den Buchhändlerkeller weiter zu führen und dabei auch das Programm zu verändern. So wird neben der Donnerstagslesung auch allwöchentlich der Dienstag für Veranstaltungen genutzt. Hier werden unter dem Titel „Literatur und Fernsehen“ literarische Features aus dem Archiv hervorgezaubert, werden alte Texte neu gelesen. Zugleich stellt der neue Vereinsvorstand unter Jürgen Tomm, Giuseppe de Siati und Cornelia Staudacher den Raum auch immer wieder für Verlagspräsentationen zur Verfügung und lässt Künstler in den komplett durchrenovierten Räumen ausstellen.

Und auch wenn die drei beileibe keine Jungbuchhändler sind, ist es ihnen doch gelungen, das Publikum zu verjüngen und den Buchhändlerkeller wieder als einen gern aufgesuchten Ort zu etablieren. Dabei arbeitet der fünfköpfige Vorstand ehrenamtlich. Der Verein erhält nämlich kaum Zuschüsse vonseiten der öffentlichen Hand; in den vergangenen Jahren waren es gerade mal 7.300 Euro, in diesem Jahr sogar rund 3.000. Mit diesem wenigen Geld aber und den Einnahmen aus Spenden, Eintrittsgeldern, Vermietungen und Vereinsbeiträgen hat sich der Buchhändlerkeller in den letzten Jahren über Wasser halten können. Umso erstaunter waren Staudacher und Tomm, als ihnen vom Kultursenat eröffnet wurde, dass der Topf, aus dem das kleine Fördergeld bislang kam, nicht mehr existiere.

Um auch im nächsten Jahr eine Förderung zu erhalten, müsse sich der Buchhändlerkeller nun wie jede andere Literaturgruppe in der Stadt um Projektgelder bewerben. Die würden ihm dann zugesprochen – oder eben nicht. Auf eine Intervention der Schriftstellerin Katja Lange-Müller hin, der sich rund hundert Autorinnen und Autoren aus ganz Deutschland anschlossen, „den Verlust einer der ältesten und für uns, die Autorinnen und Autoren, wichtigsten Lesebühnen Berlins nicht zuzulassen“, hat die Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten recht kühl reagiert.

„Komplexere, experimentelle und interdisziplinäre Ansätze“ seien von nun an bei der Förderung gefragt, heißt es in einem Antwortschreiben, während die Autorenlesung mit anschließendem Gespräch „leider nur noch nachrangig berücksichtigt werden“ könne. Über alle eingereichten Projekte entscheide eine Jury, die Vergabekriterien werde man ab Oktober bekannt machen.

Tomm und Staudacher sind zu Recht erstaunt und empört über diesen Umgang. Der Buchhändlerkeller, der von vielen bereits als eine Art privates Literaturhaus angesehen wird, muss sich also nun um Projektmittel bewerben. Und da er „nur“ klassische Autorenlesungen veranstaltet, hat er einen schweren Stand.

Der Vorgang an sich betrifft allerdings nicht nur eine literarische Institution Berlins, sondern zeigt zugleich auf, wie sich die Kulturpolitik in Berlin veränder hat. „Innovativ, einfallsreich und öffentlichkeitswirksam“ soll die Literatur heute präsentiert werden. Das Berlin, das sein Regierender Kulturbürgermeister „arm, aber sexy“ nennt, soll sich eben, bitte schön, auch immer wieder aufhübschen. Events aber erscheinen diesem Senat sexier, da sie „öffentlichkeitswirksam“ sind und im besten Fall mehrere hundert Besucher anlocken, während eine Autorenlesung ja nur von dreißig bis fünfzig Leuten besucht wird. Dass man auf Events nicht über das eben Gehörte sprechen kann, ist offensichtlich egal.

Und noch ein anderer Aspekt dürfte bei dieser Entscheidung eine nicht unwesentliche Rolle spielen: Die Mitglieder im Vorstand des Arbeitskreises Berliner Jungbuchhändler sind durchweg ältere Semester, was sie zwar nicht daran hindert, jeden Monat rund dreißig Stunden ehrenamtlich im und für den Buchhändlerkeller zu arbeiten, sie aber weniger sexy aussehen lässt. Dass sie darauf Wert legen, dass im Buchhändlerkeller noch immer sehr viele Debütanten auftreten – obschon bei unbekannten Namen ja immer die Gefahr besteht, dass nicht viele Zuhörer erscheinen –, ist dabei zweitrangig. Berlin soll offensichtlich eine Stadt für die hippe Literatur werden. Das ist nicht schlecht. Doch sollte man die gediegeneren oder einfach unaufgeregten Literaturliebhaber darüber nicht vergessen.