: Superpotenz macht artenarm
Zuchtbullen der Industrie können hunderttausende Nachkommen zeugen. Doch letztendlich kann das die Versorgung mit Nahrungsmitteln gefährden, warnen die UN
DORTMUND taz ■ Die Bullen der Viehrasse Holstein-Friesian arbeiten hart für ihren Arterhalt. Einige von ihnen bringen es auf mehrere hunderttausend Nachkommen – weil der Mensch es so will. In Zuchtlabors wird ihr Sperma in bis zu eine Million Samenpakete aufgeteilt und an Milchbauern geschickt. Zuchtunternehmen sind stolz auf so potente Tiere. Doch die Vereinten Nationen (UN) warnen vor den Folgen dieser Intensivzucht.
Die Welternährungsorganisation (FAO), eine Unterbehörde der UN, hat in einem Bericht die tiergenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft untersucht. Das Ergebnis: Die industrielle Produktion von Nutztieren ist die größte Bedrohung für die globale Nutztiervielfalt. Denn sie führt dazu, dass mehr als ein Drittel der weltweiten Schweine nur noch fünf Zuchtrassen angehören, auch bei Legehennenzuchten stammen rund 85 Prozent der Eierproduktion aus einer Handvoll Rassen. Das hatte die FAO bereits in einem Bericht Ende vergangenen Jahres moniert. Doch in den letzten sieben Jahren sei pro Monat eine Zuchtrasse ausgestorben, ergänzte der stellvertretende FAO-Generaldirektor Alexander Müller kürzlich.
Das ist fatal, weil sich die landwirtschaftlichen Tiere in Zukunft vor allem aufgrund des Klimawandels auf veränderte Umweltbedingungen einstellen müssen. Laut Müller drohen die nötigen genetischen Quellen, um die Tiere widerstandsfähiger zu machen, jedoch zu versiegen. Und das bedroht die Nahrungsmittelversorgung.
Laut Andreas Thierfelder, Deutschland-Sprecher des Schweinezuchtkonzerns Monsanto, hat die Industrie kein Interesse daran, dass die Zahl von Nutztierrassen sinkt. „Wir brauchen schließlich eine große Vielfalt, um erfolgreich verschiedene Eigenschaften der Tiere kombinieren zu können“, sagt er.
Doch auch im Schweinebereich konzentriert sich die Zucht auf wenige Linien. Laut einer vom Bundesforschungsministerium geförderten Studie aus dem Jahr 2004 sind bis zum Jahr 2000 105 der 333 europäischen Schweinerassen ausgestorben.
Daran tragen die Zuchtkonzerne sehr wohl Mitschuld, kritisiert Greenpeace. Die Umweltorganisation hat ein Gutachten finanziert, das in diesem Frühjahr veröffentlicht wurde. Demnach halten große Zuchtunternehmen inzwischen bedeutende Marktanteile in der Branche. So wird der Schweinezuchtmarkt überwiegend von der britischen Pig Improvement Company kontrolliert, gefolgt von Euribrid und Topigs aus den Niederlanden und dem US-Konzern Monsanto. Sie und die anderen Marktriesen für Rinder- und Geflügelzucht setzen auf wenige, aber hochleistungsfähige Zuchtrassen, um ihren KundInnen möglichst hohe Produktionsmengen zu ermöglichen, warnt Greenpeace im Einklang mit der FAO.
Auch die Zuchtergebnisse stellen viele ExpertInnen nicht zufrieden. Die genannte Studie von 2004 kam etwa zu dem Ergebnis, dass die Kühe der Art „Schwarzbunte Holstein-Friesian“ seit den 50er Jahren ihre Milchleistung um etwa 50 Prozent auf über 8.000 Liter gesteigert haben. Gleichzeitig nahmen aber Euterentzündungen, Bein- und Klauenschäden und Fruchtbarkeitsstörungen erheblich zu. Inzwischen bemühten sich die meisten Landwirte aber um eine schonendere Haltung ihrer Tiere, sagt Matthias Leisen, Geschäftsführer der Genossenschaft Rinderzucht Schleswig-Holstein.
Günter Postler, Rinderzuchtexperte des Netzwerks ökologische Tierzucht (NÖTZ), genügt das nicht. Er setzt sich für alternative Zuchtverfahren ein. Das aus dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau finanzierte Netzwerk will den Bauern erklären, wie sie ihre Tiere schonend großziehen. Postler verspricht sich von einer längeren Lebensdauer der Kühe auch wirtschaftliche Vorteile, etwa weil sie fast doppelt so häufig Milch abgeben könnten wie die Konkurrenz.