DAS DING, DAS KOMMT : Klackernde Klanghölle
DER PACHINKO-AUTOMAT erzeugt wahnsinnigen Lärm. Die Musiker Springintgut und F. S. Blumm basteln aus dem Krach behutsam leisen Elektrofolk
Spielhölle – wer einmal eine japanische Pachinko-Halle besucht hat, weiß, was das Wort bedeutet: Hunderte sitzen im dichten Zigarettenqualm Schulter an Schulter vor piependen und blinkenden Automaten und lassen tausende kleiner Metallkugeln durch ein Labyrinth von Stiften, Kanälen und Klappen fallen. Das allein erzeugt schon einen ohrenbetäubenden Lärm. Wirklich höllisch wird es aber durch den permanent wummernden J-Pop und die ständigen Durchsagen, die große Gewinne und Sonderaktionen ankündigen.
Erstaunlich, dass täglich zig Millionen Japaner stundenlang in Qualm, Lärm und Blinklicht sitzen, obwohl man hier nicht mal viel ergattern kann: Geldgewinne sind verboten, stattdessen gibt es Parfüm, Zigaretten oder Unterhaltungselektronik, die man zumindest in dubiosen Läden ringsum wieder in Geld umtauschen kann. Noch erstaunlicher allerdings: Sie kommen hierher, um nach Feierabend abzuschalten und den Alltagsstress zu vergessen.
Beeindruckt von dieser paradoxen Gleichzeitigkeit von Chaos und Entspannung waren die Experimentalmusiker Andi Otto alias Springintgut und Frank Schültge alias F.S. Blumm vom Hamburger Label Pingipung, als sie während einer gemeinsamen Japan-Tour im Frühjahr plötzlich in einer der Lärmhöllen standen.
Bekannt sind beide für die eigenwillige Verzahnung von Fieldrecordings allerlei merkwürdiger Klänge mit ihren elektronisch aufgemotzten Instrumenten: Ottos „Fello“ verbindet ein Cello und eigens programmierte Audiosoftware mithilfe von Bewegungssensoren am Cellobogen, F. S. Blumm wiederum verknüpft seine Akustikgitarre mit erlesenen Schaltkreisen.
Und so findet sich der Krach aus den japanischen Kugelautomaten auch auf dem ersten gemeinsamen Album „The Bird and the White Noise“ wieder, das die Klangtüftler aus Hamburg und Bremen dieses und nächstes Wochenende in Norddeutschland vorstellen. Ganz leise leitet der Lärm hier das letzte Stück „Leben Läuft“ ein. Überhaupt: Was Otto und Schültge aus unzähligen Feldaufnahmen aus Japan, Indien und Italien gebastelt haben, ist alles andere als ein Höllentrip: Eine behutsam montierte Einladung, nach Feierabend abzuschalten und den Stress zu vergessen. MATT
■ Hannover: Sa, 20. 12., Feinkost Lampe; Hamburg: So, 21. 12., Astra-Stube; Bremen: So, 28. 12., Zakk Klubraum