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Archiv-Artikel

Von der Globalisierung der Flora

Ein neuer Verbreitungsatlas zeigt auf, dass die Pflanzenwelt Niedersachsens und Bremens in ständiger Bewegung ist. Einige früher noch nachgewiesene Arten sind verschwunden, andere reisen hingegen extra aus Spanien oder gar von noch weiter weg an, um hier Wurzeln zu schlagen

von UTA GENSICHEN

Die Erdmandel liebt es warm. Wohl deshalb gedeiht das Grasgewächs seit dem 8. Jahrhundert prächtig im spanischen Valencia, wo es damals die Araber anpflanzten. Doch die Erdmandel – lateinisch Cyperus esculentus – scheint nicht nur ein sonniges Gemüt zu besitzen, sondern ist offenbar auch reiselustig. Anders ist es kaum zu erklären, dass die knollenartige Pflanze aus der Familie der Sauergräser seit einigen Jahren auch auf niedersächsischem Boden zu Hause ist.

Wer derart freiwillig vom Mittelmeer ins norddeutsche Binnenland zieht, der verdient denn auch einen Punkt im neuen „Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen und Bremen“, den jetzt der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz vorgelegt hat. In gerasterten Landschaftskarten wird darin dokumentiert, welche Pflanze wo und wie häufig auftritt. Dabei umfasst ein Rasterpunkt ein Gebiet von fünf mal fünf Kilometern. Vergleicht man die Ergebnisse mit denen von Untersuchungen zurückliegender Jahrzehnte, treten spannende Veränderungen im betrachteten Pflanzenreich zu Tage.

„Der Schwerpunkt liegt dabei auf Arten der Roten Liste“, sagt Annemarie Schacherer von der Fachbehörde für Naturschutz in Hannover. „Diese sind als Indikatorarten ganz besonders wichtig für den Naturschutz.“ Denn: Stirbt eine Pflanze aus und unterbricht damit eine Nahrungskette, kann das schwerwiegende Folgen für das gesamte Ökosystem haben. Um im floristischen Dickicht auf dem Laufenden zu bleiben, benötigt die niedersächsische Behörde regelmäßig Daten. Die bekommt sie von Menschen mit botanischem Interesse, also Biologie-Studenten, Rentnern oder Förstern. Ob in Mooren, Wäldern, an Gleisanlagen oder neben Autobahnen – die freiwilligen Helfer spüren offenbar jede Pflanze auf.

Auch sehr seltene Arten machen die mit Lupe und Lageplan ausgestatteten Naturfreunde ausfindig. Das Doldige Wintergrün zum Beispiel. Noch im Jahr 1987 wuchsen davon etwa 100 Exemplare im Raum Niedersachsen, 2006 waren es nur noch 19. Das Gewächs mit dem lateinischen Namen Chimaphila umbellata findet sich mittlerweile vorwiegend im skandinavischen Raum.

Das Doldige Wintergrün ist aber nicht die einzige Pflanze, die sich in den letzten Jahren aus Norddeutschland zurückgezogen hat. Dafür muss nicht immer der Klimawandel verantwortlich zu machen sein: Der nämlich „spielt eher eine untergeordnete Rolle“, sagt Schacherer. Viel ausschlaggebender sei da schon das Verschwinden der Moore, die Verwilderung der Heiden und die intensivierte Nutzung von Äckern. Letztere brachte zum Beispiel die Familie der Feldsalate auf die Rote Liste. Aber auch eine Reihe von Ackerwildkräutern leidet unter dem verstärkten Einsatz von Herbiziden in der konventionellen Landwirtschaft. „Früher“, sagt die Mitherausgeberin des Pflanzenatlanten, „gab es mehr Sonderstandorte, so genannte ökologische Nischen.“ Verschwinden diese, geht es eben auch einigen Pflanzen an den Kragen.

Bei aller Gefahr, zu verarmen: Die Flora befindet sich stets im Wandel. „Es kommen auch andere Arten dazu“, sagt Schacherer. Diese tragen wohlklingende Namen, wie zum Beispiel der Gefaltete Frauenmantel, das Purpur-Reitgras, der Feingliedrige Wurmfarn oder die Ufer-Hirse. Da viele dieser Pflanzen erst vor wenigen Jahren in unseren Breiten entdeckt wurden, liegen für sie keine Altdaten vor.

Zu den Neulingen in der niedersächsischen Flora gehört so auch die aus Nordamerika stammende Beifußblättrige Ambrosie, Ambrosia artemisiifolia. Im Gegensatz zur Erdmandel wächst die aber nicht wie Unkraut, sondern gehört zu den unbeständigen Vorkommen. „Die Ambrosie ist durch das Vogelfutter zu uns gekommen“, erklärt die Pflanzenexpertin. Denn in den Futtertüten für unsere ausgehungerten Vögel sind verschiedene Sämereien enthalten. Besonders in der Nähe von Vogelhäuschen finde man gelegentlich deshalb ein bis zwei Exemplare der Ambrosie.

Ein anderes Beispiel für die Globalisierung der Flora ist der Klebrige Alant, Dittrichia graveolens. Die Pflanze wächst im Mittelmeergebiet, botanische Kartierer fanden sie 1993 aber erstmalig auf einem Osnabrücker Industriegelände. Jahre später tauchte das Gewächs dann wieder auf – auf einem Mittelstreifen der Autobahn 7. Eine ähnlich große Affinität zu deutschen Fernstraßen besitzt auch das Dänische Löffelkraut, Cochlearia danica. Diese Pflanze kommt eigentlich nicht im Binnenland vor, gedeiht nun aber prächtig zwischen dreispurigen Asphalt- und Betonpisten. Ebenso der Dreifinger-Steinbrech (Saxifrada tridactylites), der es sich in den letzten Jahren im warmen und – zumindest unter floristischen Gesichtspunkten – konkurrenzfreien Schotterbett des deutschen Schienennetzes gemütlich gemacht hat. „Diese Arten waren vorher selten, aber der Mensch hat ihnen Lebensräume angeboten“, sagt Annemarie Schacherer über diese urbanen Gewächse.

Für die Mitarbeiterin der Fachbehörde für Naturschutz zeigt sich in den Ergebnissen des aktuellen Verbreitungsatlanten vor allem die große Variabilität der Natur. „Bei vielen Arten gibt es dramatische Rückgänge, andere wiederum ziehen siegeszugartig durch das Land“, sagt sie. Die Erfolgsgeschichte heimischer Pflanzen, die in die Fremde ziehen, erzählt der niedersächsische Verbreitungsatlas natürlich nicht. Dabei ist besonders der Breitwegerich nicht mehr aus der Flora Nordamerikas wegzudenken. Dank seiner klebrigen Samen und der ersten europäischen Siedler konnte sich diese krautige Pflanze hervorragend verbreiten. Die Indianer bezeichneten den Breitwegerich deshalb auch vielsagend als „footprint of the white man“ – des Bleichgesichts Fußabdruck.

Eckhard Garve (u. a.): Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen und Bremen, Heft 43 der Reihe „Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen“, 507 Seiten, 1.881 Verbreitungskarten, 12 Bildseiten, 50 Euro

Doldiges Wintergrün (Chimaphila Umbellata)

Fanden die norddeutschen Hobbybotaniker 1987 noch mehr als 100 Exemplare dieser Pflanze, galt das Doldige Wintergrün jahrzehntelang als verschollen. 2006 verzeichneten die Kartierer in Niedersachsen gerade mal 19 Exemplare.

Feldrittersporn (Consolida)

Diese Pflanzen mit der unverkennbar blau-violetten Blüte aus der Familie der Hahnenfußgewächse stehen inzwischen auf der Roten Liste. Schuld daran sind die intensivierte Bearbeitung deutscher Äcker und der Einsatz von Herbiziden.

Sumpf-Läusekraut (Pedicularis palustris)

Das 15 bis 40 Zentimeter hohe Gewächs ist in ganz Nordeuropa zuhause. In Deutschland allerdings ist die krautige Pflanze stark gefährdet und nach dem Bundesartenschutzgesetz besonders geschützt.

Englische Kratzdistel (Cirsium dissectum)

Im Gegensatz zur weiter verbreiteten Acker-Kratzdistel ist ihre englische Schwester in Niedersachsen nur selten vertreten. Der stark gefährdete Korbblütler steht daher auf der Roten Liste der heimischen Pflanzenarten.

Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens)

Das gelegentlich auch „Autobahngold“ genannte Greiskraut wächst eigentlich in Südafrika. Seit Mitte der 1970er Jahre lässt sich die im Sommer und Herbst stark blühende Pflanze allerdings auch hierzulande bewundern: auf den Mittelstreifen deutscher Autobahnen.