: Kluge Konzepte statt Anlagenbau
ENERGIE Die Ökostromer definieren ihre Rolle neu – sie wollen zunehmend auch das Netz stabilisieren. Die Wasserkraft soll zugunsten der schwankenden Windkraft künftig weniger wichtig sein
FREIBURG taz | Der Strommarkt wandelt sich – und mit ihm die Rolle der Ökostromanbieter. In der Vergangenheit kauften die Unternehmen vor allem Wasserkraft ein, denn die Erzeugung der Turbinen ist gut planbar. Schnell war damit das Stromportfolio auf 100 Prozent Erneuerbare getrimmt. Mit dem Fortschreiten der Energiewende sind jedoch neue Modelle nötig. Eines stellte nun Greenpeace Energy vor: Von Januar an liefert das Unternehmen seinen Kunden mindestens 10 Prozent Windstrom. Jährlich soll dieser Anteil um 2 Prozentpunkte steigen.
Dafür schließt die Firma Lieferverträge direkt mit Anlagenbetreibern in Deutschland und Österreich ab, muss dann aber die wetterbedingt schwankende Erzeugung ausregeln. Dies soll unter anderem durch Lastverschiebung geschehen, indem die Stromnachfrage von Großkunden an die aktuelle Ökostromproduktion angepasst wird.
Da durch den Einkauf von Windprognosen und den Ausgleich von Schwankungen in der Stromerzeugung Zusatzkosten entstehen, musste Greenpeace Energy einen Kompromiss suchen: Einerseits will das Unternehmen so viel fluktuierenden Strom aufnehmen wie möglich, andererseits muss aber natürlich auch der Strompreis wettbewerbsfähig bleiben. „Deshalb ist ein zweistelliger Mindestanteil derzeit ein ambitioniertes Ziel“, sagt Marcel Keiffenheim von Greenpeace Energy.
Längst arbeiten auch andere Ökostromer daran, die fluktuierenden Energien in das Stromsystem einzupassen. Das Unternehmen Lichtblick hat eigens dafür eine Steuersoftware mit dem Namen „Schwarm-Dirigent“ entwickelt, die dezentrale Erzeugung, Speicherung und Verbrauch aufeinander abstimmt; man spricht dann von einem virtuellen Kraftwerk. Das ist nicht trivial, weil einerseits technische Parameter das System bestimmen, dieses andererseits aber auch wirtschaftlich optimiert werden soll – etwa indem man Strom vor allem dann einkauft, wenn er am Markt billig zu haben ist, und ihn rückspeist, wenn er teuer ist. „Ein Juwel“ sei diese Software, befand jüngst der Spiegel – denn in ihr steckt Know-how, über das keiner der großen Stromkonzerne verfügt.
Vor allem sind es die Chancen der dezentralen Erzeugung, die die Ökostromer zunehmend reizen. Denn eine Kilowattstunde, die im Keller per Blockheizkraftwerk oder auf dem Hausdach per Photovoltaik erzeugt wird (und somit ohne den Umweg über das öffentliche Netz in die Steckdose gelangt), ist inzwischen unschlagbar günstig. Darauf setzt das Unternehmen Naturstrom, indem es auch Mietern die Möglichkeit eröffnet, Solarstrom vom eigenen Dach zu beziehen. Scheint die Sonne nicht, stellt die Firma Ökostrom aus dem Netz bereit.
Kluge Konzepte statt Anlagenzubau auf Teufel komm raus – das ist zunehmend die Stoßrichtung der Ökostromer. „Der Neuanlagenbau wird zumindest derzeit über das Erneuerbare-Energien-Gesetz vorangetrieben“, sagt Greenpeace-Energy-Vorstand Sönke Tangermann, „deshalb wollen wir die Gelder unserer Kunden effektiver einsetzen.“
BERNWARD JANZING