: Waschen, wo der Sonntag nicht heilig ist
KLEINER GRENZVERKEHR Berlins teuerste Hotels verzichten auf die Waschküche im Keller – sie schicken ihre Bettlaken und Handtücher nach Polen. Seit knapp 20 Jahren betreibt eine Berliner Firma eine Wäscherei am östlichen Ufer der Oder – mit dem Dampf eines Kraftwerks
Fliegel-Geschäftsführer Franz-Josef Wiesemann
VON JULIANE WIEDEMEIER
Die Wäsche von Berlins Hotels verreist gern. Ob Bademäntel vom Adlon, Laken vom Hyatt oder Handtücher aus dem Four Seasons, sie alle machen, bevor sie frisch gewaschen dem nächsten Gast übergeben werden, einen kleinen Ausflug – nach Polen. Nowe Czarnowo heißt der Ort, an den sie ihre Reise führt. Seit 19 Jahren steht dort, 30 Kilometer südlich von Stettin, die Wäscherei des Berliner Unternehmens Fliegel Textilservice, das sich auf die Reinigung von Hotelwäsche spezialisiert hat. 100 Hotels in Berlin gehören zu seinen Kunden, darunter 14 der 18 Fünf-Sterne-Häuser der Stadt.
„Die Hotels dieser Kategorie haben besondere Ansprüche“, erklärt Fliegel-Geschäftsführer Franz-Josef Wiesemann. Mal müssten die Handtücher so gefaltet sein, dass das Logo zu sehen ist, mal müsse sich eine besondere Form ergeben. „Wir gehen auf jeden Wunsch individuell ein, und das geht nur, weil wir noch viel von Hand arbeiten.“
500 Mitarbeiter sind in drei Schichten beschäftigt, um täglich 55 Tonnen Wäsche zu reinigen, zu bügeln und zu falten. Auch wenn die Löhne in Polen nicht mehr ganz so niedrig seien wie noch vor zwanzig Jahren – es komme das Unternehmen immer noch günstiger, dort arbeiten zu lassen als in Deutschland, sagt Wiesemann.
Dabei waren die Lohnkosten gar nicht der Grund, warum sich die beiden Firmengründer Hubert Emming und Wilfred-Udo Andree kurz nach der Wende für Polen entschieden. Vielmehr ging die Idee für die Wäscherei auf das Kraftwerk von Nowe Czarnowo und den Dampf zurück, den dieses bis dahin allein als Abfallprodukt produzierte. „Die beiden Gründer wussten davon und suchten nach einer Möglichkeit, wie man den Dampf weiter nutzen könnte“, erzählt Wiesemann. So sei man auf den Einfall mit der Wäscherei gekommen, als reine Geschäftsidee. „Bis auf die Bedienung einer Haushaltswaschmaschine hatte keiner der zwei damals Erfahrung in diesem Bereich.“
Als die Idee geboren war, machten sich Emming und Andree auf die Suche nach dem richtigen Kundenkreis. „Zunächst dachten sie an Krankenhäuser und Altenheime in Polen, doch deren mangelhafte Zahlungsmoral war berüchtigt“, sagt Wiesemann. Auch die polnische Hotelbranche habe sich nicht als ausreichend groß und zahlungsfähig erwiesen, sodass man auf die Idee mit den vielsternigen Berliner Häusern gekommen sei. „Emming war überzeugt, dass Berlin nach dem Mauerfall wieder an Bedeutung gewinnen und viele große Hotels anziehen würde.“ Es habe aber einige Zeit gebraucht, bis man zumindest drei Zusagen gehabt habe. „Gewinnen Sie mal neue Kunden, wenn Sie auf die Frage nach dem Standort der Wäscherei antworten müssen: Die bauen wir noch“, gibt Wiesemann zu bedenken.
Auch die Polen reagierten zunächst nicht sonderlich begeistert auf die Pläne der Deutschen. Die gemeinsame Geschichte der beiden Länder habe dabei weniger eine Rolle gespielt als die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aufeinandergeprallt seien, meint Wiesemann. „Für die Polen waren Emming und Andree Kapitalisten, die sie nicht im Land haben wollten.“
Trotz aller Widerstände eröffnete die Wäscherei 1992 nach sechsmonatiger Bauzeit. Mit 500 Kilo zu waschender Wäsche ging es los, mittlerweile hat sich diese Zahl verhundertfacht. In dieser Zeit haben sich die einstigen Standortvorteile durch das Zusammenwachsen Europas zunehmend relativiert. Neben der Anpassung der Löhne lägen auch die Umweltstandards längst auf deutschem Niveau, meint Wiesemann. Heute wasche man mit umweltfreundlichem Waschmittel und baue gerade eine eigene Kläranlage. „Dann können wir das Wasser nach Verwendung direkt in die Oder leiten.“
Ob das wirklich so stimmt, lässt sich schwer überprüfen. Beim Umweltbundesamt (UBA) heißt es, es gebe zwar eine einheitliche Verordnung in Europa für die Detergenzien – also Stoffe in Waschmitteln, die den Reinigungsprozess verstärken. „Derzeit vorhandene Unterschiede hinsichtlich des zulässigen Phosphatgehalts werden aber voraussichtlich erst 2013 durch ein einheitliches EU-Verbot geändert.“ Was die Abwassergrenzwerte angehe, gelte auch in Polen die EU-Kommunalabwasser-Richtlinie, so das UBA. „Sollte die Wäscherei aber nicht in eine Kanalisation einleiten, sondern direkt in ein Gewässer, könnten in diesem Fall unterschiedliche Anforderungen bestehen.“ Große Umweltsünden könne man jedoch wohl nicht mehr unentdeckt begehen.
Im Jahr 2004 trat Polen der EU bei. Damit fielen viele Logistikprobleme weg, die der Grenzverkehr bislang mit sich gebracht hatte. „Früher haben wir eine eigene Fähre betrieben, um die langen Warteschlangen an der Grenze zu umgehen“, erzählt Wiesemann. Das sei nun nicht mehr nötig. Alle eineinhalb Stunden fahre ein Lkw mit bis zu 3,5 Tonnen Wäsche von Berlin nach Polen und wieder zurück – rund um die Uhr, 364 Tage im Jahr. „Wir machen nur an einem einzigen Tag im Jahr frei: Ab Heiligabend 18 Uhr steht 24 Stunden lang alles still.“ In Deutschland mit seinem heiligen Sonntag sei so ein Betrieb nicht möglich.
Vor diesem Hintergrund zeigt auch Henrik Bier, Vorsitzender des Ostdeutschen Textilreinigungsverbandes, Verständnis für den polnischen Standort. „Ich habe da keine Bedenken“, sagt er, „schließlich endet das vereinte Europa nicht an der Oder-Neiße-Grenze.“ Wenn ein Unternehmen Vorteile wie niedrigere Lohnkosten oder eben Sonntagsarbeit nutze, sei das legitim. Zumal man Fliegel nicht als Preisdrücker bezeichnen könne: Das Unternehmen mache seine Gewinne nicht mit Dumpingpreisen, sondern über ein Angebot von besonders hoher Qualität, das so in Deutschland kaum umzusetzen wäre.
„Auch die Idee, Kraftwerks-Abwärme zu nutzen, ist interessant und nachhaltig“, findet Bier. Um den Wäschereistandort Deutschland mache er sich deshalb keine Sorgen. Vielmehr frage er sich, warum nicht viel mehr Firmen diesem Vorbild folgten.
Mindestlohn und mehr
Ähnlich argumentiert Wiesemann: „Wir sind die teuerste Wäscherei am Markt, dafür erfüllen wir aber jeden Wunsch individuell.“ Seine polnischen Mitarbeiter bekämen den polnischen Mindestlohn und mehr, und auch die über 200 Arbeiter, die man an weiteren Standorten in Leipzig und Berlin beschäftige, würden angemessen bezahlt. „Auch innerhalb Deutschlands gibt es Lohnunterschiede, aber demnach unterscheiden sich auch die Lebenshaltungskosten.“
Bleibt die Frage nach dem Transportweg. Immerhin reist jedes Wäschestück 135 Kilometer weit statt einfach in den Hotelkeller. Wiesemann meint, das sei wenig im Vergleich mit anderen. Auch Martin Schlegel, Verkehrsreferent beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), sagt: „Es geht darum, Verkehr zu vermeiden. Da kann von Berlin aus eine Wäscherei in Polen besser sein als eine in Baden-Württemberg.“ Ideal sei natürlich, Berliner Wäsche in Berlin zu waschen.
Im Umkehrschluss wäre es wünschenswert, würde in Nowe Czarnowo auch Wäsche aus Polen gewaschen. Doch der Inlands-Umsatz macht nur vier Prozent aus und stammt vor allem von Hotels an der Ostseeküste. „Unser Geschäft ist hauptsächlich auf Deutschland ausgerichtet“, sagt Wiesemann, der selbst kein Polnisch spricht. Überhaupt sei die Tatsache, dass die Wäscherei in einem anderen Land stände, kein Thema mehr. „Wir sprechen nicht von unserem Standort in Polen. Für uns ist das einfach NC, kurz für Nowe Czarnowo.“