piwik no script img

Archiv-Artikel

Zivildienst in Auschwitz

„Am Ende kommen Touristen“ von Robert Thalheim erzählt von den Mühen der Erinnerung

„Auschwitz parking“ steht auf einem großen Schild vor dem Parkplatz nahe dem ehemaligen KZ – die Kamera von Robert Thalheim fängt dieses absurde Detail eher nebenbei am Bildrand ein. Auch sonst wird er nur selten so überdeutlich wie in der Szene, in der ein deutscher Jugendlicher sich von einem einstigen KZ-Häftling seine eintätowierte Nummer zeigen lässt und mit Enttäuschung in der Stimme sagt, man könne ja kaum noch etwas sehen. „Ich habe sie nicht erneuern lassen!“, ist die sarkastische Antwort des von dem polnischen Schauspiel-Veteranen Ryszard Ronczewski gespielten Mannes, die natürlich im Trailer und in allen im Fernsehen gezeigten Beiträgen über „Am Ende kommen Touristen“ zu sehen ist, wodurch schnell ein falscher Eindruck von diesem ganz erstaunlichen deutschen Film entstehen könnte. Denn so auf die Pointe hin inszeniert, bei der einem das sprichwörtliche Lachen im Halse stecken bleibt, ist er gerade nicht.

Stattdessen lohnt es sich, auf die Zwischentöne zu achten – etwa darauf, wie die polnischen Bewohner von Oswiecim über die zugereisten Deutschen reden, wenn sie sich sicher sind, dass diese ihr Polnisch nicht verstehen („Die deutsche Armee ist wieder in Auschwitz“). Oder aber auf die politisch korrekten Formeln, mit denen deutsche Offizielle wie ein Angestellter der internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz auf eine so deutsch korrekte Art und Weise alles richtig zu machen versuchen, dass einem dabei Angst und Bang werden kann. Wenn etwas schiefgeht, wird sein Ton auch schnell mal zackig – aber dies stellt Thalheim ebenfalls nicht aus: der aufmerksame Zuschauer bemerkt es, wird aber nicht mit der Nase drauf gestoßen.

Man merkt dem Film an, dass er auf persönlichen Erfahrungen basiert. Der Regisseur Robert Thalheim („Netto“) hat selbst seinen Zivildienst in Auschwitz abgeleistet, und will ein Gefühl dafür vermitteln, wie das alltägliche Leben an dem Ort funktioniert, dessen Name ein Synonym für den Holocaust geworden ist. So dient die Handlung hier nur wie eine Schnur, an der Situationen aneinandergereiht werden. Sven, der (von Alexander Fehling gespielte) Protagonist des Films ist ein deutscher Zivildienstleistender, der eher beobachtet als handelt – ein junger Unschuldiger, dessen aufmerksamer, neugieriger Blick auch die Perspektive des Films ist. Er soll einen alten KZ-Überlebenden betreuen, der immer wieder vor Besuchergruppen seine Geschichte erzählt und die alten Koffer repariert, die den Ankommenden an der Rampe vor der Selektion abgenommen wurden. Dies tut er als eine lebendige Trauerarbeit, und erfüllt damit nicht die Ansprüche der polnischen Restauratoren, deren wissenschaftlichen Methoden seine liebevollen Bastelarbeiten nicht entsprechen. „Er war halt auf keiner Universität!“, sagt einer der Akademiker – der wohl brutalste Satz des Films.

Thalheim zeigt hier mit großer analytischer Schärfe, wie der „Erinnerungsbetrieb“ Auschwitz funktioniert. Wie die Mechanismen der Tourismus zwangsläufig alles banalisieren, wie die Gedächtnisstätte vielen Einwohnern des Ortes gut bezahlte Arbeit bietet, und wie an einem schönen Sommertag die jungen Polen nur ein paar hundert Meter vom ehemaligen KZ entfernt ausgelassen an einem Flüsschen baden. Weil Thalheim dabei immer konkret bleibt, und immer genau die passenden Bilder und Situationen findet, wirkt sein Film nie politisch oder polemisch. Er will irritieren, dem Zuschauer nicht Antworten liefern, sondern ihn dazu anstiften, neue Fragen zu stellen.

Wilfried Hippen