: Männer mit Macht
DAS WIRD DAS JAHR, DAS WIRD 2015 erarbeitet sich der FC Bayern München den Sieg in der Champions League, Nord- korea steigt zur Kraftsportmacht auf, und die Politik setzt die taz unter Druck
VON BERND MÜLLENDER
Berlin, 1. Januar. Mit „großer Bestürzung“ hat Bundespräsident Joachim Gauck in seiner außerordentlichen Neujahrsansprache auf das geplante Nichterscheinen der taz-Januarrubrik „Das wird der Monat, der wird“ wegen dieser Jahresvorschau reagiert. Die Sportszene werde ohne die klugen Handlungsanweisungen wochenlang „komplett orientierungslos sein“: Weltweit, mahnt das Staatsoberhaupt, würden Skiasse bergauf wedeln, verfehlen Golfer alle Löcher und Dopingspritzen die Adern, wollten Türme beim Schach partout schräg laufen und Eishockeycracks die Pucks weit daneben werfen. DFL-Manager Andreas Rettig klagt: „Wie sollen wir mit den Wettbüros die Bundesligarückrunde planen ohne klare Regieanweisungen?“ Und Weltschurke Sepp Blatter weint: „Ich weiß gar nicht, wen ich mir wie zurecht korrumpieren soll. Da gab es immer nette Ideen, die selbst ich noch gar nicht kannte.“
Berlin, 2. Januar. Die taz-Sportredaktion kann dem weltweit aufgebauten politischen Druck nicht mehr standhalten: Die Januarausgabe von „Das wird der Monat, der wird“ erscheint doch.
Berlin, 8. Januar. Die Lage entspannt sich. Sepp Blatter schickt einen üppigen Dankesscheck mit heiteren Begleitworten, den die taz triumphierend weiter nach New York an den ehemaligen Chefermittler Michael Garcia leitet. Erfolglos. Garcia ist seit Tagen untergetaucht – oder untergetaucht worden. Das FBI ermittelt: „Es sieht ernst aus.“
München, 31. Januar. Eine Kopie des Schecks geht an Ethikrichter Hans-Joachim Eckert in München. Der lässt fragen, wer Sepp Blatter sei und was Fifa bedeute.
München, 14. Februar. Der FC Bayern verfehlt sein Saisonziel als erster deutscher Faschingsmeister. „Wir sind Opfer des frühen Karnevalrahmenterminkalenders“, klagt Bayern-Sportvorstand Matthias Sammer. Dahinter stecke „sicher dieser hintertriebene Neureichenklub Borussia Dortmund“, mutmaßt der klubeigene Verschwörungsfachmann Karl-Heinz Rummenigge, „wenn nicht sogar der chronische 1. FC Köln oder der Mann im Mond“. Strategisches Ziel, teilen die Münchner mit, bleibe das Decatuple, zehn Meisterschaften in Folge bis zum Jahr 2022. „Die letzte aber schon Ende 2021 wegen der WM-bedingt früheren Spielrunde“, kündigt der Jugendwart auf Bewährung, Uli Hoeneß, an, „dann werden wir 2021 erster deutscher Doppelmeister. Mir san Helaaf und Alau.“
Prag, 1.–17. Mai. Erneut beglückt eine Eishockey-Weltmeisterschaft die Menschheit. Es ist Nummer 79. Hammondorgelklänge schmeicheln bei Auszeiten den Seelen. Bepuschelte Blondinen hopsen neckisch durch die leeren Ränge. In den Zuschauerkurven sind Limousinen zu Werbezwecken aufgebockt. Am Ende gibt es einen Weltmeister, den die Welt am nächsten Morgen schon vergessen hat. „Noch 115 Tage bis zum Ligabeginn“, freuen sich die Fans von Krefeld bis Ingolstadt.
Hamburg, 23. Mai. Dem Hamburger SV („letzter Dino der Liga“) gelingt dank Aogos Treffer zum 0:1 in der Nachspielzeit gegen Schalke 04 erstmals der Abstieg. Tränenbedingt steigt der Elbepegel bis zur Sturmflutwarnung. „Dinos sind nie wiedergekommen“, twittern Fangruppen des SV Werder Bremen, der sich mit einem 2:0 beim Absteiger Borussia Dortmund im letzten Moment retten konnte, und fügen aufmunternd hinzu: „Aber ein ewiges Dasein als geliebtes Gruselgeschöpf in Kinderbüchern dürfte unserem großen Nachbarn sicher sein.“
Zürich, 29. Mai. Fassungslosigkeit in der Fifa-Zentrale: Joseph („Sepp“) Blatter, 79, bekommt bei seiner Wiederwahl als Welt-Fußballführer eine Gegenstimme. Umgehend wird eine Ethikkommission gegründet, „um diesen ungeheuerlichen Vorgang schonungslos aufzuklären“.
Berlin, 6. Juni. Immermeister FC Bayern gewinnt nach dem lästigen Pokalendspiel am Vorsamstag (7:0 gegen irgendwen) auch das Finale der Champions League in der Hauptstadt, mit einem kargen 4:0-Arbeitssieg gegen Real Madrid. „Dass das alles immer erst so spät im Jahr geht, ist schon ärgerlich“, sagt der Kaiser, „wir könnten sonst ab März auf Welttournee gehen, um neue Megastars dazuzuverdienen.“
Pjöngjang, 11. August. Mit einer blumenumflorten Militärparade, farbenfrohem Raketenkonfetti und einem zunächst unerklärlichen, kilometerlangen Konvoi von Kinderwägen feiert Nordkorea die Vergabe der Gewichtheber-WM 2018 an die Volksrepublik. Es ist die erste große Meisterschaft im Land überhaupt. Auslöser ist Om Yun Chol, 23, ein Zwerg von 1,50 Meter Höhe und knapp 56 Kilogramm Gewicht, der 2012 sensationell Olympiagold holte, 2014 den WM-Titel und im Stoßen 170 Kilo schafft, also mehr als das Dreifache seines Körpergewichts. Nordkoreas Präsident Kim Jong Un („Hanteln sind schön“) drängt auf die Einführung neuer Gewichtsklassen („Klassen sind klasse“). Im Hauchgewicht unter 15 Kilogramm, verkündet Jong Un, stünden schon „Zehntausende unserer volkseigenen Frühathleten im vollen Wettkampftraining“. In der Klasse Liegend Rücken bis 10 Kilogramm belegen nordkoreanische Gewichtheberchen schon seit Jahren alle Weltranglistenplätze. Ohnehin gilt das Land im pränatalen Babybodybuilding als führend.
St. Leon-Rot, 18. September. Der Solheim Cup Europa-USA im Frauen-Profigolf, das Pendant zum Männerevent Ryder Cup, findet erstmals in Deutschland statt. Ein Weltereignis, das hierzulande allerdings quasi nicht wahrgenommen wird. „Immerhin“, sagt der angefressene Mitorganisator und leidenschaftliche Schlägerschwinger Dietmar Hopp (sonst 1789 Hoffenheim), „haben die Frauen damit das Niveau der Männer erreicht“. Alice Schwarzer (sonst Bild-Zeitung) verortet „mit Stolz ein weiteres Emanzipationsmosaik“.
Frankfurt, 16. Oktober. Der erste postmoderne Knast-Zehnkampf der eingegitterten Dopingbetrüger erfordert wegen der vielen Teilnahmeberechtigten regionale Ausscheidungswettbewerbe und Vorkämpfe. Seit Sportbetrug Straftatbestand ist, nimmt die Zahl der Inhaftierten täglich zu. Schon fordert der Deutsche Sportbund eine Olympiaamnestie: „Sonst werden wir keine deutsche Mannschaft nach Rio schicken können. Die ganze Pharmaforschung wäre für die Katz“, klagt der exgrüne DOSB-Generaldirektor Michael Vesper. Und er bringt den schönen Satz hervor: „Der deutsche Spritzensport blutet aus.“
New York, 1. November. Breaking News: Erneut Weltrekord über 42,195 Kilometer! Der New York City Marathon stellt eine neue Bestmarke auf. Wie das Sportbüro der NSA mitteilt, sonderten die erstmals über 70.000 Läufer und Läuferinnen zusammen 5.669.592.309 Schweißtropfen ab. Das sei, so ein Sprecher, „genug für das nachhaltige Sweatboarding von mindestens 20 Islamisten. Der richtige God bless you all.“ Die zehn schnellsten Kenianer sind in weniger als zwei Stunden schon kurz vor dem Ziel.
Frankfurt, 28. Dezember. Die taz bemäkelt in ihrem Ausblick auf die Fußball-EM 2016 in Frankreich den Verbandsslogan „Deutschland: Wir sind nicht mehr Papst, wir sind alle D-F-B“, und prophezeit das frühe Ende aller Titelträume durch die „Schmach von Bordeauxba“ gegen Österreich. Der Fußballbund spricht von „vaterländischem Verrätertum“.
Zürich, 29. Dezember. Die Fifa entzieht Katar die Fußball-WM 2022 und führt als Grund neueste Berechnungen über den Klimawandel an, wonach es dort im Sommer warm werden könnte. Bahrain und Oman gelten umgehend als favorisierte Ersatzkandidaten.
Zürich, 30. Dezember. Nach langer, sehr geheimer Abstimmungsprozedur wird die WM noch in der Nacht wie 2018 nach Russland vergeben, dem einzigen Kandidaten, der von der Abstimmung wusste. „Russland spart Stadionneubauten“, sagt Weltpragmatiker Sepp Blatter, „mit dem ganzen Geld kann man doch schöne andere Dinge machen.“
Moskau, 31. Dezember. In einem feierlichen Staatsakt im Kreml wirft der stolze Weltrusse Wladimir Putin die Rechner mit den Bewerbungs- und Überweisungsdateien persönlich in den Müll und den Hut auch für die Weltmeisterschaft 2026 in den Ring: „Wir können immer.“ Putin kündigt an, schon 2018 einige WM-Spiele in Simferopol auf der Krim und „im derzeit angeblich noch ukrainischen Donezk“ auszutragen. „Wir gönnen unseren ukrainischen Restnachbarn aus tiefster russischer Seele eine erfolgreiche Qualifikation. Und wir werden nicht zögern“, sagt er gönnerhaft, „sie dann in die neuen Spielorte zu losen, damit sie sich wie ehemals zu Hause fühlen können.“