Dublins Besatzerstatue

Bis zum 8. März 1966 stand sie in der Mitte der Dubliner Hauptstraße O’Connell Street. Die Nelson-Säule, eines der Wahrzeichen der irischen Hauptstadt, ragte 40 Meter hoch und war damit rund zehn Meter kleiner als ihr Londones Pendant am Trafalgar Square, aber dafür 34 Jahre früher fertig.

Sie war in den Jahren 1808 bis 1809 errichtet worden, um den britischen Admiral Horatio Nelson zu ehren, der 1805 in der Schlacht bei Trafalgar die napoleonische Flotte besiegt hatte und dabei ums Leben kam.

Damals gehörte Irland noch zum Vereinigten Königreich. Finanziert wurde die Statue durch Spenden. Der Stiftung, die das Geld einsammelte, gehörte dem Brauereigründer Arthus Guinness an. Für 10 Pence konnte man die 168 Stufen im Inneren der Säule hinaufklettern und hatte einen guten Überblick über die Stadt. Kein Besucher Dublins in den folgenden 157 Jahren ließ sich das entgehen. Doch die Säule war auch von Anfang an umstritten, weil sie ein Verkehrshindernis war. Mehrere Versuche, sie an einen anderen Standort zu verlegen, scheiterten, weil niemand die Kosten dafür übernehmen wollte.

Nach der irischen Unabhängigkeit 1922 wollte man die Statue aus politischen Gründen loswerden, doch auch das klappte nicht, weil die Stiftung, die Eigentümerin der Statue, ihre Zustimmung verweigerte. Im Oktober 1955 schlossen sich neun Studenten in die Säule ein und versuchten, die Statue mit Flammenwerfern einzuschmelzen. Die Polizei verhinderte das. 1966 war es dann so weit: Zum 50. Jahrestag des Dubliner Osteraufstands, der 1916 Auftakt für den Kampf um Irlands Unabhängigkeit war, jagte eine Gruppe ehemaliger Mitglieder der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) die obere Hälfte der Säule in die Luft, sodass die Statue auf die Straße purzelte. Einer der Täter, Liam Sutcliffe, erzählte mir viele Jahre später, dass man die Mischung aus Plastiksprengstoff und Ammoniak genau berechnet habe und so niemand zu Schaden gekommen sei, zumal der Anschlag nachts stattfand, als kaum jemand unterwegs war.

Der Rest der Säule wurde sechs Tage später von der Armee gesprengt, die dabei aber mehr Schäden an den umliegenden Gebäuden anrichtete als der Anschlag selbst. Nelsons Kopf wurde am St. Patrick’s Day desselben Jahres von Studenten aus einem Lagerhaus gestohlen. Sie vermieteten ihn für 200 Pfund im Monat an einen Londoner Antiquitätenhändler für sein Schaufenster. Sechs Monate später gaben sie ihn Lady Nelson, der Nachfahrin des Admirals. Heute ist er im Dubliner Civic Museum ausgestellt. Bereits wenige Tage nach dem Anschlag auf die Säule brachte die Belfaster Band The Go Lucky Four das Lied „Up Went Nelson“ heraus, das es bis an die Spitze der irischen Charts schaffte. Die Dubliner nahmen im selben Jahr den Song „Nelson’s Farewell“ auf. Die Sprengung der Säule spielte auch eine bedeutende Rolle in einem Roman des Dubliner Satirikers Flann O’Brien. In der deutschen Fassung, so monierte Harry Rowohlt, tauchte der „pillar“ stets als „Briefkasten“ auf, und die Leserschaft wunderte sich, warum man ein solch harmloses und nützliches Objekt in die Luft gesprengt hatte. Rowohlt hat O’Briens Werke dann vorsichtshalber neu ins Deutsche übertragen. An der Stelle der Säule steht heute der „Millennium Spire“, eine 120 Meter hohe Stahlnadel. RALF SOTSCHECK