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Archiv-Artikel

Ein Bluff der Union

ERBSCHAFTSTEUER Konservative wollen die Grünen nach dem Urteil aus Karlsruhe zum Einlenken bewegen. Doch ihre Drohung, die Steuer würde ersatzlos wegfallen, ist hohl

Nirgends in der Entscheidung steht, dass die Normen ab 2016 außer Kraft treten

VON CHRISTIAN RATH

KARLSRUHE taz | Fällt die Erbschaftsteuer Mitte 2016 ersatzlos weg, wenn sich die Politik nicht auf eine Neuregelung einigen kann? Das behaupten Unions-Politiker. Doch das ist nur ein konservativer Bluff.

Das Bundesverfassungsgericht hat Mitte Dezember das derzeitige Erbschaftsteuerrecht beanstandet. Denn Unternehmenserben können große Werte auch dann steuerfrei erben, wenn dies nicht der Sicherung von Arbeitsplätzen dient. Bis Ende Juni 2016 muss die Politik deshalb entweder konkrete Vorgaben der Richter umsetzen oder die Steuer ganz neu konzipieren.

Doch für die Umsetzung ist die Zustimmung des Bundesrats erforderlich. Das heißt nach derzeitigem Stand: Mindestens zwei grün mitregierte Länder müssen der Neuregelung zustimmen. Das kann zu harten Verhandlungen führen. Denn die Grünen wollen laut Wahlprogramm das jährliche Aufkommen der Erbschaftsteuer auf 8,6 Milliarden Euro verdoppeln.

CDU-Politiker wie Christian von Stetten, der in der Fraktion für die Erbschaftsteuer federführend zuständig ist, versuchen bereits, Druck auf die Grünen auszuüben. Wenn die Grünen zu viel forderten, gebe es keine Einigung – und ohne Einigung falle die Erbschaftsteuer nach dem 30. Juni 2016 ersatzlos weg, warnt von Stetten. Auch auf Länderseite sind ähnliche Argumente zu hören. Die bayerische Staatsregierung geht laut Münchener Merkur ebenfalls davon aus, dass ohne Einigung bis Juni 2016 die Erbschaftsteuer gar nicht mehr erhoben werden kann.

Doch hat die Drohung mit der wegfallenden Erbschaftsteuer überhaupt Substanz? Von Stetten verweist auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Im Erbschaftsteuergesetz seien nicht nur die Verschonungsregeln für Unternehmenserben beanstandet worden (Paragrafen 13a und 13b), sondern auch der Steuertarif für alle Erben (Paragraf 19). Ausdrücklich heißt es in Randziffer 284 des Karlsruher Urteils: „Damit ist die Erhebung der Erbschaftsteuer auch für den Übergang von Privatvermögen blockiert.“

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Verfassungsrichter haben die Fortgeltung der beanstandeten Paragrafen ausdrücklich angeordnet – und zwar „bis zu einer Neuregelung“, wie es in Randziffer 292 des Urteils heißt. Der Bundestag ist zwar verpflichtet, die Erbschaftsteuer bis zum 30. Juni 2016 neu zu regeln. Aber nirgends in der Karlsruher Entscheidung steht, dass die fortgeltenden Normen ab dem 1. Juli 2016 automatisch außer Kraft treten.

Das sehen auch die Verfassungsrichter so. Nach taz-Informationen beriet sich der zuständige Erste Senat inzwischen intern über die Frage, was nach ergebnislosem Fristablauf passieren würde. Die Richter waren sich völlig einig, dass die Erbschaftsteuer dann nicht wegfällt. Die Spekulationen aus der Union sind also ein bloßer Bluff.

Auch die derzeitigen Verschonungsregeln für Unternehmenserben würden ohne Neuregelung nicht ewig weitergelten. Vielmehr wollen die Verfassungsrichter dann selbst und ohne Antrag anordnen, was bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber gelten soll. Die Befugnis für eine solche Vollstreckungsanordnung stehen in Paragraf 35 des Gesetzes über das Verfassungsgericht. Die Richter würden dann ab Mitte 2016 die Verschonungsregeln wohl vorübergehend selbst verschärfen.