Premiere von „Marat/Sade“ im Güterbahnhof : Weltschmerz in der Badewanne
Es war ein Versuch. „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“ – ihrerseits dargestellt durch die Schauspielgruppe des Theaterlabors zu Bremen, unter Anleitung der Isabel Osthues. Im Stück im Stück setzt der Marquis de Sade als Regisseur den hautkranken Revolutionär Marat in eine Wanne und gruppiert die Chöre zweier französischer Klassen um ihn. Im Abseits wird als Fatum die Nonne Corday mit dem Dolch auf den Weg geschickt. Jeder Akteur gibt einen Anstaltsinsassen, und der wieder eine Figur im Historienstück – kein geringer Anspruch.
Die ebenso doppelbödige Absicht des Autors Peter Weiss, Geschichte in widersprüchlichen Aspekten zu zeigen – ihrer Determination und ihrer Änderbarkeit – verschwindet unter Osthues’ Regie in trübem Weltschmerz. Jeder Ausruf gerät zum Lamento. Mangelnde Mimik wird durch Haudrauf-Symbolik kompensiert: Der Dolch wird zum Phallus, die Nonne zur Nutte, die Revolution zur grell geschminkten Farce. Plausibel ist das Pathos allein in den tableaux vivants, zu denen die Szenen zuweilen erstarren. Den Rest retten Nina Selchow als gewitzte Souffleuse und Nicole Wagner, die ihre Simonne mit linkischer Unrast versieht. Erschreckend farblos ist dagegen de Sade selbst. Auch der Vorführeffekt der Irren vor bourgeoisem Publikum gelingt nicht, da dieses keine ernstzunehmende Repräsentanz auf der Bühne bekommt. Das dicke Ende: Anstelle des Loblieds aufs Hospiz deklamiert der Chor ein Sloterdijk-Zitat über den „Weltgeist“. Robert Best