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Archiv-Artikel

Viel Lärm am Ijsselmeer

Unbedingt auch atonal und bloß keine Reime: Klischeeverweigerung ist manchmal auch nur ein Klischee. Wie die Band Pechsaftha sich müht, widerborstig und wild zu sein

Es ist nicht einfach, Musik zu fertigen, die sich allen Konventionen des Pop widersetzt und so viele seiner Klischees vermeidet wie möglich. Das ist eine Aufgabe, die in diesen Zeiten, in denen findige Produzenten vor nichts zurückschrecken und der Sampler noch jedes seltsame Geräusch verwertbar macht, zur Sisyphosarbeit wird.

Wie schwer es ist, diesen Stein immer wieder den Berg hinaufzurollen, das ist zu hören auf „Dick in Frisco“, dem ersten regulären, auf CD erscheinenden Album von Pechsaftha. Bisher veröffentlichte diese deutsche Band ausschließlich auf Vinyl – zerhackte Rhythmen, kranke Klänge, komisches Klopfen vom Xylofon, atonal dazwischenfahrende Gitarren, Störgeräusche und Klingeltöne, Texte, die sich nicht reimen, und Melodien, die sich weigern, welche zu werden.

Vielleicht ist es aber auf der anderen Seite auch gar nicht so schwer, roh und unbehauen, chaotisch und widerborstig, experimentell und avantgardistisch zu sein. Am besten, man übt erst gar nicht, so wie Pechsaftha. Die fahren ab und an zusammen ans Ijsselmeer – und bei jedem gemeinsamen Ausflug kommt immer gleich eine Platte heraus. Mehr Zeit ist nicht, man hat schließlich zu tun: Das Quintett besteht aus Musikern, die sonst bei den Bands EA80 (Mönchengladbach) sowie Grafzahl und Klotzs (beide aus Siegen) erkunden, ob und wie Punk heute noch möglich ist. Der fünfte Mann ist Martin Büsser, der als Journalist und testcard-Herausgeber beschreibt, was seit Punk so mit der Popmusik passiert. Im Ergebnis heißt das dann für Pechsaftha: Songs, die „Für immer in Pop“ heißen und von Menschen handeln, die „die Handynummer der White Stripes“ haben. In einem anderen Stück verkündet Büsser: „Ich möchte nicht wie der Sänger von R.E.M. enden.“ Und im CD-Booklet wird allen potenziellen Kritikern schon mal vorsorglich der Wind aus den Segeln genommen: „Das können sie, diese Pechsafthas: Meckern. Aber Antworten geben sie auch keine, komische Gruppe.“

Komische Gruppe, fürwahr. „Am Anfang“, erzählte Büsser in einem Interview, „ist das nur Rumimprovisiere“. Am Ende stehen dann aber Songs, die eigentlich eine Bestellung beim Pizza-Service sind oder ein Bewerbungstext für die Partneragentur. Pechsaftha fühlen sich auf „Dick in Frisco“, dessen Cover das Sonic-Youth-Album „Goo“ zitiert, aber nicht nur in den modischen Neusprech der Kreativen und Berlin-Mitte-Menschen ein, sie schlüpfen nicht nur in die Rollen von Irgendwiekünstlern, Linksspießern und Dauerpraktikanten. Nein, sie sehen sich tatsächlich auch genötigt, noch einmal im ganz altmodischen Punkfuror die altbackenen bürgerlichen Klischees von Kegeln und Kirchenchor, Gesangsverein und Goethelesen zu demaskieren.

So erinnern Pechsaftha am ehesten an die Goldenen Zitronen, die ja auch vom klassischen Punk kamen, um dann systematisch Popstrukturen zu vermeiden. Aber nicht immer geht bei Pechsaftha die Musik-Text-Schere auf wie das sprichwörtliche Messer in der Tasche: Unter einen brabbelnden Büsser („Ey, nimm’s locker, wir sind hier in Deutschland, Germany, alles cool, oder?“) legen sie ganz entspannt einen Chillout-Groove, der ausnahmsweise auch als solcher funktioniert. In diesen seltenen Momenten ist unter der demonstrativen Radikalität dann doch eine Sehnsucht zu erkennen nach der guten alten harmonischen Popmusik. Dann manifestiert sich endgültig das Problem des Ansatzes von Pechsaftha. Die Verweigerungshaltung, die sie bis in den Sound hinein verlängern, ist nicht nur sehr schwer wirklich konsequent durchzuhalten. Sie gerinnt bisweilen auch zum Klischee.THOMAS WINKLER

Pechsaftha: „Dick in Frisco“ (Tumbleweed/Broken Silence) Pechsaftha werden 2007 noch einige Showcases spielen; Termine stehen noch nicht fest