: Noch kein Ende der Besatzung
NAHOST Die PLO tritt nach gescheiterter UN-Resolution dem Rom-Statut bei. Jetzt könnte die Siedlungs- und Besatzungspolitik vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen
PRÄSIDENT MAHMUD ABBAS
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Die palästinensische Führung will Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Verantwortung für die Besatzung und ihre Folgen ziehen. Präsident Mahmud Abbas unterzeichnete am Mittwoch das Rom-Statut. Seiner Entscheidung vorausgegangen war das Scheitern der beim UN-Sicherheitsrat eingereichten Resolution, die einen zeitlichen Rahmen für den israelischen Abzug aus den Palästinensergebieten bis zum Jahre 2017 festlegen sollte. Nur eine Stimme fehlte der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation), die die Resolution mit jordanischer Vermittlung einreichte. Abbas hatte schon im Vorfeld der Abstimmung in New York angekündigt, im Falle einer Ablehnung der Resolution dem Strafgerichtshof beitreten zu wollen. „Wo sonst sollten wir uns über die Angriffe beschweren“, rechtfertigte er den Schritt, der in Washington und Jerusalem auf heftige Ablehnung stößt.
Die amerikanische UN-Botschafterin in New York Samantha Power bezeichnete die dem Sicherheitsrat vorgelegte Resolution als „zutiefst unausgewogen“. Tatsächlich wird in dem Text Gewalt gegen Zivilisten und Terror ausdrücklich verurteilt. Die drei Seiten umfassende Resolution sieht außerdem das Ende des Konflikts und die gegenseitige Anerkennung sowie eine „gerechte und vereinbarte Lösung für das palästinensische Flüchtlingsproblem“ vor. Riad Mansur, UN-Botschafter für die PLO, zeigte sich enttäuscht über das Votum. „Unsere Bemühungen hatten das ernsthafte und echte Ziel, die Tür zum Frieden zu öffnen“, sagte er. Die Palästinenser hatten darauf gedrängt, dass die Abstimmung im Sicherheitsrat noch vor dem Jahreswechsel stattfindet, obschon seit gestern (Donnerstag) zwei neue nichtständige Mitglieder im Sicherheitsrat sitzen, die propalästinensisch eingestellt sind. Beide hätten vermutlich für die Resolution gestimmt, anstatt sich der Stimme zu enthalten wie Ruanda, Südkorea, zwei der scheidenden nichtständigen Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat.
Mit der Ratifizierung des Beitrittsgesuchs zum Internationalen Strafgerichtshof könnte die palästinensische Führung israelische Soldaten und Politiker wegen eventueller Kriegsverbrechen anklagen. Denkbar wäre auch, dass die Führung in Ramallah den Strafgerichtshof zum Podium für den Protest gegen den Bau neuer Siedlungen machen wird. Staaten, die dem Internationalen Strafgerichtshof angehören, könnten indes auch umgekehrt die Palästinenser für Angriffe auf Zivilisten zur Verantwortung ziehen, allen voran für den Raketenbeschuss der Hamas aus dem Gazastreifen.
Netanjahu reagierte ungehalten über die Entscheidung von Abbas, das Rom-Statut zu unterzeichnen. Israel werde „die Soldaten der Verteidigungsarmee, der moralischsten Armee der Welt, schützen“, kündigte er an. Es sei die palästinensische Führung, die sich vor dem Strafgerichtshof in Den Haag hüten müsse, nun, da sie „in einer Einheitsregierung mit der Hamas sitzt, einer Terrororganisation, die wie der IS Kriegsverbrechen begeht“. Vor gut zwei Jahren, als die PLO vor der UN-Generalversammlung eine Mehrheit für die Anerkennung Palästinas erreichte, reagierte Netanjahu mit dem intensivierten Bau neuer Siedlerwohnungen. Von dem zunächst angekündigten Baubeginn auf dem umstrittenen E1-Gebiet ging Netanjahu schließlich auf Abstand. Die Regierungen in London und Paris drohten damals mit dem Abzug ihrer Botschafter aus Tel Aviv. Angesichts der bevorstehenden Wahlen in Israel und „Netanjahus Lust auf die Stimmen des rechten Lagers“, so schreibt Barak Ravid von der liberalen Ha’aretz, sei Netanjahu in der Lage, auf eine Art zu reagieren, „die Israel einmal mehr ins Zentrum des internationalen Drucks geraten lassen könnte“.
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