: Ruhe für den Tanz der Hunde
Der Carl-Weder-Park in Neukölln ist jung, frisch gebaut über einem Autobahntunnel. Weil Bäume so langsam wachsen, sorgt Seraphina Lenz einmal im Jahr mit der „Werkstatt für Veränderung“ für Belebung
Veränderungssperre. Ein tolles Wort aus der Verwaltungssprache. Eine Veränderungssperre lag rund 20 Jahre über der Wederstraße in Neukölln. Der Senat wollte hier eine Autobahn auf einem Damm durchrauschen lassen. Aber in den Siebzigern und Achtzigern gab es genug Widerstand gegen die Strecke. Dank der verhängten Veränderungssperre schien die Wederstraße mit ihren eher kleinen Ur-Rixdorfer Häuschen lange wie ein Museum, um das sich niemand kümmert. Keiner durfte neu bauen, kein Fenster war aus Kunststoff, man heizte fast geschlossen mit Kohle. In den Höfen gab es Werkstätten.
Nach dem Fall der Mauer aber war der Bau der Autobahn nach Schönefeld schnell beschlossen. Von den alten Häusern sind nur wenige geblieben. Auf der Seite, die man für den Autobahntunnelbau brauchte, verschwanden sogar alle Gebäude. Jetzt wird die Wederstraße von einer roten Backsteinmauer begrenzt, hinter der die Autos vorbeirauschen. Als Trostpreis hat man den gesamten Tunnel mit einem Park überbaut, der leider ein wenig tot und wie künstlich in die Gegend reinimplantiert wirkt. Seit 2003 belebt sich der Park aber immerhin im Sommer für drei Wochen. Die Konzeptkünstlerin Seraphina Lenz veranstaltet angenehm unspektakuläre Aktionen mit der Anwohnerschaft. Vor zwei Jahren schaffte sie durch die bloße Anwesenheit eines weißen Pferdes die Leute in Gesprächen zusammenzubringen. Ein Anwohner schlief damals zum Pferdeschutz jede Nacht im Auto vor der Koppel des Kaltblutwallachs Hannibal. Der Mann ist seitdem jeden Sommer engagiert dabei.
Lenz erzählt, dass hier eigentlich die üblichen Kunst-am-Bau-Skulpturen geplant waren, aber dann ihre auf zehn Jahre angelegte „Werkstatt für Veränderung“ besser gefunden wurde. Der letzte Sommer stand unter dem Motto „Balkon für alle“, man baute Blumenkästen, bepflanzte sie und diskutierte über die pflanzliche Entwicklung des noch jungen Carl-Weder-Parks. Einige Blumenkästen sind geblieben. Und die Pizzeria um die Ecke hat noch welche von den den blauen Liegestühlen mit dem Schmetterlingssymbol, die Lenz einmal im Park aufstellte. Das Schmetterlingslogo verweist auf den Birkenspanner, der besonders anpassungsfähig auf extreme Luftverschmutzung mit extremer Farbveränderung reagiert. Anpassung an die Umgebung und temporäres Mimikry können überlebenswichtig sein – auch die Kunst tarnt sich hier.
In diesem Jahr kommt die Konzeptkunst als scheinbare Kindergartenaktion verkleidet daher. Jeden Tag gibt es Workshops: Kids üben mit einer Spezialistin, wie man sich professionell schminkt, andere glauben den Artisten in sich beim Seilspringen rauszukitzeln. Über drei Wochen sollen verschiedene Talente entwickelt werden und dann in einer zirkusartigen Vorstellung am Ende münden.
„Die Leute hier wollen beachtet sein, gesehen werden. Und damit auch respektiert“, meint Lenz. Das große Beachtet-werden-Wollen trägt einer der fast schon ironisch aggressiv auftretende Jungs in Form einer schweren Eisenkette bei sich. Als die Hundetrainerin endlich mit ihren beiden supercoolen Kötern, dem Bordercollie Glory und dem Husky Lady auftaucht, um Nachbarhunden eine Hundechoreografie beizubringen, befiehlt der Kettenjunge fußballspielenden Kindern aufzuhören, um die Hunde nicht zu stören. Noch sind über zwei Wochen Zeit, die Talente der Hunde und Anwohner herauszufinden. Danach beginnt wieder die hauchzart modifizierte Ödnis über der unsichtbaren Autobahn. ANDREAS BECKER
„Werkstatt für Veränderung“, täglich ab 15 Uhr im Carl-Weder-Park, Finale am 8. September