Fünf Tage extra frei für die Bildung

GEISTIGER ÜBERBLICK Fast jeder Arbeitnehmer hat Anspruch drauf, doch kaum jemand nutzt ihn: Der Bildungsurlaub erfreut sich nicht großer Beliebtheit. Dabei profitieren davon sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber. Auch führt der Namenszusatz „Urlaub“ in die Irre

VON NIELS HOLSTEN

Sie wollten schon immer wissen „Was macht die freie Republik Wendland?“, ihr „Zeitmanagement“ verbessern, Dänisch lernen oder ihre Computerkenntnisse erweitern? Und dafür vom Chef bezahlten Extraurlaub bekommen.

Das ist kein Traum, sondern gutes Recht. Zumindest, für Menschen, die nicht in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen oder Sachsen arbeiten. Denn in allen anderen Bundesländern gibt es ein Bildungsurlaubsgesetz, das Arbeitnehmern bis zu fünf Tage im Jahr Extraurlaub für die persönliche Bildung zusichert. Einzige Voraussetzung: Mindestens sechs Monate Betriebszugehörigkeit.

Und die Auswahl ist riesig. Es gibt an die 3000 Angebote. Aber kaum jemand nimmt diesen Anspruch wahr – bundesweit gerade mal eineinhalb Prozent. „Da herrscht Unwissenheit auf allen Seiten“, sagt Susanne Achenbach, Referentin der der Bremer Arbeitnehmerkammer für Bildung und Ausbildung. „Dabei tut so ein Bildungsurlaub doch allen Beteiligten gut“.

Der Betrieb hätte ein Interesse an Mitarbeitern, die auch über das Fachwissen hinaus gebildet sind. Die Mitarbeiter wiederum bekämen durch solch eine Maßnahme ein positiveres Verhältnis zum Arbeitgeber. Da widerspricht auch der Unternehmensvertreter nicht. Sebastian Schulze, Pressesprecher des Unternehmensverbands Nord, hält den Bildungsurlaub für „eine wichtige Sache“, und meint, „allein schon durch den Fachkräftemangel müssen die Unternehmen interessant für ihre Mitarbeiter bleiben“. Daher würde viel in Weiterbildung investiert. Schulze sieht eher hier den Grund, warum so selten Bildungsurlaub beantragt wird: „Die Unternehmen machen von sich aus schon viel und tun immer mehr“.

Aber beim Bildungsurlaub geht es um mehr als berufliche Weiterbildung. Auch die politische Bildung und die Qualifizierung für ehrenamtliche und gewerkschaftliche Tätigkeiten ist ausdrücklich erwünscht. Arbeitnehmer sollen befähigt werden, sich gesellschaftlich einzumischen. Insbesondere die bildungsfernen Schichten.

Dem entsprechend waren es in früheren Jahren vor allem Arbeiter, die einen Bildungsurlaub nahmen. Die Angestellten schlossen aber bald auf. Heute liegen beide annähernd gleich auf. Frauen sind damals wie heute unterrepräsentiert.

Schon 1976 ratifizierte die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und verpflichtete sich damit völkerrechtlich zur Einführung eines bezahlten Bildungsurlaubs. Der Bund hat allerdings nie so ein Gesetz erlassen, überließ dies den einzelnen Ländern. Bis auf die besagte vier Ausnahmen taten die das auch.

Und es gibt durchaus Unterschiede. So kann in Hamburg und Bremen der Urlaub aufgespart und dann alle zwei Jahre auf 10 Tage ausgeweitet werden. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist dies nicht möglich. Auch die Fristen für die Antragstellung sind unterschiedlich geregelt. In den meisten Ländern sind es sechs Wochen vor Beginn, in Niedersachsen und Bremen reichen vier.

Auch wenn es einen Anspruch gibt, rät Susanne Aschenbach dazu den Antrag im Betrieb „elegant und charmant“ zu regeln. Es sei immer eine Gradwanderung etwas zu fordern. Die Arbeitnehmerkammer Bremen und die Gewerkschaften können bei der Formulierung helfen.

Manch ein Arbeitnehmer mag auch die Angst umtreiben, unangenehm aufzufallen und im Zweifel als erster den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn er sich alljährlich zu Seminaren wie „Sinn und Wirkung von politischer Satire“ verabschiedet. Sebastian Schulze vom Unternehmensverband schließt nicht aus, dass „gefühlt die Sorge besteht“, und dies „vielleicht ein Hemmschuh“ für einige sein könnte. Dies sei aber keine Strategie von Unternehmen.

Ganz wichtig seien da starke Betriebsräte, sagt Aschenbach. Die könnten für „ein Klima der Akzeptanz im Betrieb sorgen“. Tatsächlich beantragen in Konzernen mit starken Betriebsräten mehr einen Bildungsurlaub – bei VW zum Beispiel um die acht Prozent der Belegschaft.

Letztendlich hat der Chef immer die Möglichkeit einen Antrag abzulehnen. Zum Beispiel wenn der Betriebsablauf durch das Fehlen des Kollegen stark beeinträchtigt würde. Oder wenn für den Betrieb in der Bildungsmaßnahme kein „Mindestnutzen“ ersichtlich ist. So kann ein Bäcker vielleicht in Erklärungsnot kommen, warum er ausgerechnet das Seminar „Prostitution – (k)ein Problem“ besuchen möchte. Bei einem Pädagogen kann der Nutzen schon offensichtlicher sein. Ob dieser für den Arbeitgeber erkennbar ist, sollte mit ihm vorher abgeklärt werden. Im Zweifel muss aber der Chef seine Ablehnung schriftlich begründen.

Entscheidend ist, dass der gewünschte Kurs in dem jeweiligen Bundesland anerkannt ist. Jedes Land hat eigene Datenbanken mit den zugelassenen Kursen. Vielleicht hat der Bildungsurlaub aber auch von vornherein ein Imageproblem. Ist der Begriff des „Urlaubs“ doch irreführend und suggeriert mehr den Lenz als das beflissene Lernen. Seminare wie „Wir treffen uns in Ohlsdorf...“ oder „Hochseefelsen Helgoland“ blasen in dieses Horn – wenn auch zu Unrecht.

Es gibt klare Vorgaben für die Ausgestaltung. So müssen die Kurse zum Beispiel sechs Unterrichtsstunden am Tag beinhalten. Auch die Kosten werden vom Arbeitnehmer selbst getragen. Er investiert also eine ganze Menge. Und sollte er statt des beantragten Kurses doch den Strandurlaub machen, droht eine fristlose Kündigung. Bildungsforscher möchten von daher auch lieber von Bildungsfreistellung reden.