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Archiv-Artikel

Dreckige Geschäfte

In Heilbronn nahm der Absturz des italienischen Vorzeigeunternehmers Giuseppe Grossi seinen Lauf. Der Abfallmagnat erfreute sich bester Kontakte zu Politik und Wirtschaft, jetzt sitzt er als krimineller Steuerhinterzieher in Haft. Hundert Millionen Euro soll er mit der Hilfe von deutschen Unternehmern auf die Seite geschafft haben. Ein winziges Detail brachte das Finanzamt Heilbronn auf Grossis Spur

von Sandro Mattioli

Der Unternehmer Giuseppe Grossi aus Mailand war einst der Strahlemann der italienischen Abfallbranche: Was er mit seiner Green Holding anpackte, schien zu gelingen. Grossi kaufte im großen Stil Industriebrachen, sanierte das meist kontaminierte Gelände, verkaufte es als teures Bauland oder errichtete dort Wohnhäuser. Sein Meisterstück sollte ein Areal namens Santa Giulia südöstlich von Mailand werden. Wo früher ein Stahlwerk und ein Chemieunternehmen ihren Sitz hatten, wollte er ein neues Stadtviertel aus dem Boden stampfen. Doch so weit kam es nicht: Seit Februar 2009 sitzt Grossi als mutmaßlicher Steuerbetrüger in Untersuchungshaft und wartet auf sein Urteil. Nach Schätzungen soll er bis zu hundert Millionen Euro am Fiskus vorbeigeschleust haben. Dass Grossi aufgeflogen ist, ist der Aufmerksamkeit eines Prüfers im Heilbronner Finanzamt zu verdanken.

Anhand von italienischen Gerichtsunterlagen lässt sich rekonstruieren, was damals im Jahr 2005 in dem Heilbronner Amt geschehen sein muss. Es geht in den Papieren um ein kleines Unternehmen, die Trus GmbH. Das mittlerweile liquidierte Unternehmen hatte seinen Sitz zuletzt in Bad Rappenau-Zimmerhof, einem Dorf, so winzig, wie es sein Name vermuten lässt. Die Finanzprüfer stießen auf ein unscheinbares Zettelchen. Wie man denn die „7,5 + 7,5 Euro pro Tonne“ berechnen könne, stand da auf Englisch. Der Zettel bezog sich auf die E-Mail einer italienischen Mitarbeiterin von Sadi Servizi, einem Unternehmen aus Giuseppe Grossis Green Holding.

Kleiner Zettel führt zu vielen Regalmetern voll Akten

Das Misstrauen der Finanzbeamten war damit geweckt, sagt ein deutscher Ermittler viele Jahre später. Hinter sich hat er eine Schrankwand voll mit Ordnern. Die Akten zu dem Fall füllen inzwischen mehrere Regalmeter, die Ermittlungen drehten sich um Bestechung, Untreue und Steuerhinterziehung. Wie sich später zeigte, ging es bei der Frage auf dem Zettel darum, illegale Zahlungen zu verschleiern. Deutsche Unternehmen reichten einen Teil des Honorars, das sie von Giuseppe Grossi erhalten hatten, in dessen Auftrag an Firmen in Steuerparadiesen weiter. Von dort wurden die abgezweigten Gelder wieder zu ihrem italienischen Auftraggeber zurückgebracht. Bei diesen sogenannten Kickback-Zahlungen hat der italienische Auftraggeber also scheinbare Ausgaben und kann so seine Steuerlast reduzieren, zugleich hat er Einnahmen, die in keiner Bilanz auftauchen. Einige deutsche Speditionen und Müllvermittler beteiligten sich an diesen Zahlungen, unter ihnen ein Müllvermittler aus Bayern. Und dieser Vermittler war ein Geschäftskontakt der Trus GmbH.

Seit der Betriebsprüfung der Trus GmbH sind sechs Jahre vergangen. Das Finanzamt fand bald heraus, dass eine Spur zu einer Sondermülldeponie in Hessheim führte, unweit von Frankenthal in der Pfalz gelegen. Es zeigte sich, dass die Deponie zu den Abnehmern der Erde aus Mailand gehört hatte. Besonders pikant dabei ist, dass dieses Unternehmen, die Gesellschaft zur Beseitigung von Sonderabfällen mbH, komplett in der Hand des Landes Rheinland-Pfalz ist.

Die Heilbronner Finanzämtler informierten die zuständige Staatsanwaltschaft in Kaiserslautern, die Ermittlungen einleitete – wegen Untreue, Betrugs und Steuerhinterziehung. Anfangs wurde auch wegen Bestechung ermittelt, diesen Vorwurf ließ die Staatsanwaltschaft jedoch fallen.

Die Ermittler hatten bald herausgefunden, dass der Geschäftsführer der Deponie in Hessheim zugleich Vorstand der in Heilbronn auffällig gewordenen Trus GmbH war. Sie war ebenfalls im Entsorgungssektor aktiv. In den italienischen Unterlagen lässt sich nachlesen, wie das Zimmerhofener Unternehmen in die Mailänder Erdgeschäfte hineinspielte: Die Italiener hatten einen deutschen Müllvermittler, Frank K., dazwischengeschaltet, der damals noch in Germering ansässig war. K. hatte den Akten zufolge Gelder aus Italien an die Trus GmbH weitergereicht. Damit waren „beachtliche Summen“, wie es in den Unterlagen heißt, dem Mann zugutegekommen, der zum einen Vorstand der Trus GmbH war, vor allem aber der Chef der Sondermülldeponie, welche die Mailänder Abfälle dann aufnahm. Diese Transaktionen – das wurde den Ermittlern schnell klar – stanken zum Himmel, genauso wie die kontaminierte Erde, die mit Zügen und Lastwagen nach Deutschland gekarrt worden war.

Die Unternehmer, mit denen Giuseppe Grossi kooperierte, sind über ganz Deutschland verteilt. Eine große Spedition, gegen die jetzt ebenfalls ermittelt wird, hat ihren Sitz in Aachen. Ein Müllvermittler aus Dresden sieht sich mit kritischen Fragen konfrontiert, auch eine Deponie an der deutsch-tschechischen Grenze geriet ins Visier der Fahnder. Es mag purer Zufall sein, dass Grossis Geschäfte an gleich zwei Orten in Baden-Württemberg auf Misstrauen stießen – nicht nur im Finanzamt in Heilbronn, sondern auch bei einer Bürgerinitiative im hohenlohischen Kupferzell. Der Kreistag des Landkreises Hohenlohe hatte in geheimer Sitzung eilig beschlossen, die landkreiseigene Deponie in Beltersrot mit Erde aus Italien zu verfüllen. Liefern sollte das Material ein Unternehmen aus Grossis Green Holding.

Schmutzige Erde als ein Geschenk des Himmels

Müllvermittler wie die von Grossi beauftragten Unternehmen rannten bei Deponiebetreibern offene Türen ein. Ihr Angebot, Erde aus Italien zu liefern und auch noch Geld zu zahlen, erschien ihnen als ein Geschenk des Himmels. Denn nach einem Beschluss der EU mussten Abfälle von 2005 an vorzugsweise verbrannt und durften nicht mehr unbehandelt deponiert werden. Damit wurden viele Deponien in Deutschland plötzlich überflüssig, auch die Müllhalde in Beltersrot war schlagartig überdimensioniert. Kommunen und Länder sorgten sich, ihre Halden nicht vollzubekommen.

Die Pläne des Kreistages weckten bei einigen Bürgern in Kupferzell jedoch die Sorge, man wolle auf ihrer Deponie Gift ablagern. „Wir erfuhren, dass die Erde aus Mailand kommt, und befürchteten daher, dass sie Dioxin aus Seveso enthalten würde“, sagt eine Frau, die an dem Protest gegen das Vorhaben beteiligt war. Im Jahr 1976 war in Meda bei Mailand ein Chemiewerk explodiert, Dioxinstaub rieselte in der Folge auf die Umgebung. Tausende Tiere starben, das Gebiet musste aufwendig saniert werden. Die Sorge der Kupferzeller Bürger, der Dreck könne jetzt auf ihrer Deponie abgelagert werden, war beileibe nicht unbegründet, denn bis heute ist der Verbleib einiger besonders stark belasteter Materialien nicht belegt.

Ein Mitglied des Kreistags fuhr eigens nach Venedig, um dort Proben von einer Tranche Erde zu nehmen, die die deutschen Müllvermittler als Probelieferung angekündigt hatten. Es sollte sich dabei um eine kleinere Menge an Erdaushub aus einem früheren Industriegebiet in Venedig handeln, nicht um Mailänder Material. Würde diese Lieferung erfolgreich vonstatten gehen, so war der Plan, könne man über die Mailänder Erde ins Geschäft kommen. Auf einem abgegrenzten Gelände in Venedig war die Probelieferung angehäuft. Ein Schild habe gleich in mehreren Sprachen verboten, das Areal zu betreten, erinnert sich Peter Lemke, der für diesen Besuch seinen Urlaub opferte. „So harmlos kann die Erde also nicht sein“, habe er sich angesichts der dicken Abdeckplanen über dem Berg gesagt. Eine merkwürdige Konsistenz habe der Aushub gehabt, berichtet Lemke. Er habe zwei „Gsälz-Gläser voll“ davon mitgenommen. Eines der beiden Marmeladegläser habe er später dem Bürgermeister geschenkt, als Erinnerung. Mehr Erde aus Italien als die zwei Gläser voll kam am Ende aber nicht nach Kupferzell: Der Landrat verzichtete angesichts der Proteste auf das Geschäft. Die Deponie wird nun mit einheimischer Erde gefüllt.

So ein Rückzieher wie der in Kupferzell bildete die Ausnahme. Der deutsch-italienische Sondermüllverkehr nahm zwischen 2005 und 2008 schnell beachtliche Ausmaße an. Es wurde regelrecht Mode, Müll für das Verfüllen von Deponien aus Italien zu importieren. Allein von der Müllklasse 17 05 03, Boden und Steine, die gefährliche Stoffe enthalten, wurden in diesem Zeitraum von Grossi und anderen in diesem Feld aktiven Unternehmen insgesamt rund 600.000 Tonnen nach Deutschland gebracht. Dazu kamen jede Menge asbesthaltige Abfälle, auch nach Baden-Württemberg.

In Italien gab und gibt es viele ehemalige Industriegebiete, die verseucht sind. Jahrelang hatte man dort flüssige Gifte versickern lassen, feste Stoffe wie Asbest einfach vergraben oder verbrannt. Im Umweltministerium wird eine Liste über die am dringlichsten zu sanierenden Gebiete geführt: 41 Flächen nennt die Liste heute noch, und es sind bei Weitem nicht alle. Auch das Mailänder Areal fehlt.

Giuseppe Grossi hatte in Deutschland Verbündete für seine Geschäfte gefunden. Auch das Abfallwirtschaftsamt in Künzelsau wurde von einem der von Grossi beauftragten Vermittler angesprochen.Auf italienischer Seite übernahm Cesarina Ferruzzi die Betreuung der Deutschen. Ferruzzi, die Grande Dame des italienischen Müllbusiness, verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in der Abfallbranche. Sie kooperierte mit einer eigens geschaffenen Abteilung in der Green Holding: Grossi hatte zwei ehemalige Finanzpolizisten angestellt, um, wie er sagte, einen sauberen Ablauf seiner Müllgeschäfte zu gewährleisten. Glaubt man der Staatsanwaltschaft in Mailand, stimmt aber genau das Gegenteil: Die beiden Expolizisten sollen das System von schwarzen Kassen erst geschaffen und dann am Laufen gehalten haben. Nach Schätzungen von Ermittlern könnte Grossi bis zu hundert Millionen Euro an Schwarzgeld angehäuft haben. Darunter auch die „7,5 + 7,5 Euro pro Tonne“, die in der Akte der Trus GmbH erwähnt waren und die den Heilbronner Finanzbeamten erst auf die Spur der schmutzigen Geschäfte brachten.

Im Januar 2008 bat die Kaiserslauterner Staatsanwaltschaft ihre Kollegen in Italien um Hilfe, um Mitarbeiter der Green Holding zu vernehmen. Die angerufene Mailänder Staatsanwaltschaft wurde daraufhin selbst aktiv. In langwieriger Arbeit rekonstruierte sie Grossis Steuerhinterziehungssystem bis ins Detail.

Nachdem die Müllvermittler in Deutschland Anfang 2008 Probleme mit der Polizei bekamen, bat Grossi seine deutschen Partner zu sich. Jedoch nicht, um das Schwarzgeldsystem zu beenden. Vielmehr erklärte er den Deutschen, dass sie das Geld fürderhin an eine Reihe von eigens neu gegründeten Tarnfirmen zahlen müssten, etwa ein Unternehmen namens Trullo mit Sitz auf Madeira. Es ist nicht bekannt, dass die Deutschen Anstalten machten, Grossis schmutzige Geldgeschäfte nicht weiter zu unterstützen. Die Gelder flossen künftig zu anderen Zielen, landeten am Ende aber weiterhin bei Grossi. Im Oktober 2009 klickten die Handschellen an seinen Handgelenken.

Das Netzwerk um Grossi war in hohem Maß kriminell. Nicht nur der Aufbau des Schwarzgeldsystems mit Tarnfirmen in Steuerparadiesen. Nein, die Italiener bauten Häuser auf verseuchtem Grund und verkauften die Wohnungen an Familien. Sogar ein Kindergarten entstand auf kontaminiertem Boden. Ein Teil des Geländes in Mailand war gar nicht saniert worden.

Zwei abgeschnittene Fingerglieder

Am eindrücklichsten zeigt sich die geballte kriminelle Energie jedoch an zwei Händen: denen von Cesarina Ferruzzi. Es ist eine Geschichte, welche die elegante Seniorin nur höchst ungern erzählt. Ferruzzi war in Haft genommen und mehrmals von der Staatsanwaltschaft in Mailand vernommen worden – offenbar wollten einige Leute, dass sie dabei gewisse Dinge verschwieg. Es gibt ihre Geschichte in zwei Versionen. Die erste geht so: Sie sei im November 2009 auf einer Party von Geschäftspartnern gewesen, habe das Fest spät verlassen und sich dabei ihre Hände in der Tür eingequetscht. Dabei habe sie je eine Fingerkuppe an der rechten und eine an der linken Hand verloren. Die zweite, weitaus brutalere und wahrscheinlichere Version: Irgendjemand hat ihr aufgelauert, ihr gesagt, was sie zu tun und vor allem zu lassen hat, und dann, als Mahnung, die Schere angesetzt. Cesarina Ferruzzi trägt heute meistens Handschuhe.

Neben diesem – von der Otto Brenner Stiftung und dem Netzwerk Recherche mit einem Recherchestipendium unterstützten – Text hat sich Sandro Mattioli noch intensiver mit dem Müll beschäftigt: In dieser Woche ist im Herbig-Verlag sein Buch „Die Müll-Mafia“ erschienen, in dem vom kriminellen Entsorgungsnetzwerk beim Abfallgeschäft erzählt wird.