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Archiv-Artikel

Mit Dynamik aus der Nische

NACHFRAGE Der Markt fair gehandelter Produkte kann beträchtliche Wachstumszahlen vorweisen. Und dies, obwohl die Nettoeinkommen bei vielen Konsumenten eher sinken

Es gibt noch viel Luft nach oben, wie der Blick über die Grenzen zeigt

VON DIERK JENSEN

Die Deutschen lieben ihre Discounter. Ist doch das, was in deren Regalen steht, vor allem billig, billig und noch mal billig. Für viele Konsumenten entscheidet der Preis eines Produktes, wohin die Hand im Regal zugreift, weshalb Konsumforscher gerne von „Discounter-Mentalität“ sprechen. Diese steht eigentlich im fundamentalen Widerspruch zum ethisch motivierten Einkauf, bei dem der Konsument die sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekte der (globalen) Produktionsprozesse in seine Kaufabsichten einfließen lässt.

Doch bröckelt der vermeintliche Widerspruch seit längerem, weil auch im Sortiment von Discountern mittlerweile eine Reihe von nachhaltigen, ökologischen und fair gehandelten Produkten anzufinden sind. Kurzum: Macht sich also auch, wer bei Aldi einkauft, ernsthaft Gedanken um das Wohlergehen kleiner, mittelamerikanischer Kaffeebauern?

Offenbar schon, denn der Absatz fair gehandelter und deshalb in der Regel auch teurer Produkte steigt auch in den Discountgeschäften kontinuierlich an. „Fast jeder Discounter bietet im Gegensatz zu früher inzwischen eine Palette von Fairtrade-Produkten an“, verweist Maren Richter, Sprecherin des TransFair e. V., auf einen Wandel im Einzelhandel, der letztlich auf ein verändertes Kaufverhalten der Kunden zurückzuführen ist. Für Richter sind Discountmarkt und Fairtrade zwar kein liebendes Traumpaar, aber immerhin eine tragfähige Geschäftsbeziehung, zumal das Fairtrade-Label immer nur für Produkte und nicht an Unternehmen vergeben wird.

Wie ambivalent das Discountgeschäft auch sein mag, die deutschen Verbraucherinnen kauften im letzten Jahr tatsächlich so fair wie nie zuvor ein. Nach Angaben des Forums Fairer Handel (FFH), Dachverband des Fairen Handels in Deutschland, gaben die Konsumenten im letzten Jahr rund 413 Millionen Euro für Produkte aus, die in den Geschäften mit Siegeln des fairen Handels ausgelobt wurden. Das entspricht einer Steigerung von 28 Prozent gegenüber 2009 und einer Vervierfachung innerhalb der letzten sechs Jahre. In absoluten Zahlen konnte man sogar einen Rekordzuwachs von 91 Millionen Euro erreichen. Zudem: Mehr als 7.200 Tonnen Fairtrade-Kaffee wurde in Deutschland im letzten Jahr verkauft. Dennoch sind dies noch nicht mehr als 1,2 Prozent des gesamten bundesdeutschen Kaffeekonsums. Es gibt also noch viel Luft nach oben, wie der Blick über die Grenzen zeigt. Beispielsweise liegt in Großbritannien der Anteil fair gehandelten Kaffees im zweistelligen Bereich; und in der Schweiz wird die Hälfte aller dort verkauften Bananen von Produktionspartnern des fairen Handels geliefert. „Der faire Handel schafft sichere Einkommen im ländlichen Raum und ermöglicht es Kleinbauern, das Potenzial ländlicher Regionen zur Ernährungssicherung zu entfalten“, erläutert Antje Edler, Geschäftsführerin des Forums Fairer Handel, vor kurzem die positiven Effekte für weltweit rund 1,2 Millionen Kleinbauern und Landarbeiter, die direkt von der Arbeit der internationalen Fairtrade-Bewegung profitieren. Für viele Kleinproduzenten waren die Mehrerlöse eine wichtige finanzielle Hilfe, um heil aus den Folgend der globalen Finanzkrise herauszukommen.

Kein Wunder, dass der Geschäftsführer von TransFair e. V., Dieter Overath, in letzter Zeit nur noch freudestrahlend auf Pressefotos zu sehen ist. Je grauer seine Haare, desto zufriedener wirkt der deutsche Mr Fairtrade, der seit Beginn der 1990er Jahre unermüdlich für mehr Gerechtigkeit im Handel wirbt. Overath musste in der Anfangszeit so manche Durststrecke überstehen, weil der Handel sich oftmals dem Gedanken eines fairen Handels versperrte, ja nicht selten ihn sogar strikt ablehnte.

Doch die sturen Zeiten sind scheinbar vorbei. So bieten inzwischen rund 33.000 Lebensmittelgeschäfte, Supermärkte, Drogerien und Discounter Produkte aus fairem Handel an. Hinzu kommen noch rund 800 Weltläden, in denen die Kunden neben Lebensmitteln auch ein großes Sortiment an Handwerksprodukten aus Asien, Afrika und Lateinamerika vorfinden. Insgesamt sollen nach einer Erhebung des FFH rund 10.000 Produkte aus fairem Handel in Deutschland erhältlich sein. Davon entfallen etwa 8.000 auf Handwerksprodukte und Non-Food-Artikel. Für TransFair-Mitarbeiterin Maren Richter besteht daher kein Zweifel, dass das breiter gewordene Sortiment das derzeitige Wachstum beim ethisch-solidarischen Einkaufen entscheidet fördert.

Interessanterweise lässt sich der Konsument bei seinem Tun und Lassen offenbar nicht mehr von einer schlechten wirtschaftlichen Gesamtsituation beeinflussen. „Ethischer Konsum hat trotz Wirtschaftskrise das Potenzial, zum Fortschrittsmotor von morgen zu werden“, heißt es in einer Studie des Trendbüros aus dem Jahr 2009. Umfragen ergaben nämlich, dass der Konsum von fairen Produkten trotz stagnierender Löhne in den Jahren von 2007 bis 2009 boomte. Dies gilt im Übrigen nicht nur für klassische Überseewaren wie Bananen und Kaffee, sondern auch für Milch von deutschen Bauern. So werben einige Molkereien auf ihren Milchtüten mit einem kleinen Preisaufschlag für „faire Preise“ für ihre bäuerlichen Produzenten.