DIE EINEN WERFEN IM NEUEN JAHR IHRE WEIHNACHTSBÄUME AUF RADWEGE UND DIE ANDEREN GEHEN GEGEN DUMMHEIT AUF DIE STRASSE : Neue Panzer und alte Störche
KATRIN SEDDIG
Die Straßen sind voller Abfall vom alten Jahr, Fernseherverpackungskartons und schlappe Aufblas-Weihnachtsmänner, die es doch nicht die Fassade hochgeschafft haben, aufgeweichte Böller und zerschmissene Sektflaschen, die Radwege sind voller Glasscherben und Weihnachtsbäume – die Weihnachtsbäume auf den Radwegen machen mich verrückt.
Werfen eigentlich nur die Leute ihre Weihnachtsbäume auf die Radwege, die selber nicht Rad fahren? Freuen die sich, dass sie einmal im Jahr ein Hindernis auf den Radweg schmeißen können, einfach so, ohne die Gefahr einer Verwarnung wegen falschen Parkens? Ich will mich nicht aufregen, es ist jetzt ein ganz neues Jahr, es ist noch vieles drin, für dieses Jahr, es kann noch besser werden, als das alte, es hat Potenzial. Wenn dir einer einen Weihnachtsbaum vor das Rad schmeißt, fahre außenrum und lächele.
Es gibt jetzt viele Leute, die sich gegen die Dummheit einsetzen, dafür sogar auf die Straße gehen. Das ist gut, für den Anfang eines Jahres. Das gehört zu einer Stadt wie Hamburg, wo Pegida glücklicherweise keine Rolle spielt und hoffentlich niemals spielen wird. Da findet sich einfach kaum keiner, der so heftig besorgt ist, vielleicht, weil hier doch einige Muslime wohnen, vielleicht, weil das unsere Nachbarn, Kollegen, Freunde sind, die uns nicht ängstigen?
Noch ein paar gute Sachen? In Schleswig-Holstein werden Bahnstrecken ausgebaut. Zwischen Rendsburg und Kiel zum Beispiel gibt es eine ganz neue. Das ist gut für die Pendler, die in Rendsburg oder Kiel wohnen oder arbeiten, gut für die Anwohner der Straßen zwischen Rendsburg und Kiel und auch für alle, die atmen. Ich will nicht darüber schimpfen, dass dagegen die HVV-Fahrkarten schon wieder teurer geworden sind. Ich suche nach Gutem, ich hoffe, es wird ein gutes, ein sehr gutes Jahr, weil das alte nicht so gut war und das nicht so weitergehen kann.
Die Störche kehren immer früher aus dem Süden zurück, meldet der NDR, da weiß ich nicht genau, ob das gut ist. Aber immerhin, sie kehren zurück. Und dann erfährt man beim NDR noch so etwas Erfreuliches wie: „Bergen atmet auf, neue Panzer in der Stadt.“ Bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob das gut ist, aber wenn sie aufatmen, die Bergener, dann kann man sich ja ein bisschen mitfreuen, oder?
Alles wird besser, in diesem Jahr. Mehr Liebe, weniger Hass, Vernunft, Gerechtigkeit und all das Zeug. Kann man am Anfang eines Jahres noch drauf hoffen. Auch wenn das alles nicht so scheint. Aber die Störche fühlen sich noch wohl. Sie kehren zurück und das immer früher. Und in Bergen neue Panzer. Die Briten sind zwar leider abgezogen, aber neue Panzer, da atmet das Dorf auf. Was wir 2015 dringend brauchen, sind neue Panzer und alte Störche. Und jetzt gibt es auch noch den Mindestlohn von 8,50 Euro, da braucht man nur eine knappe Stunde täglich für das HVV-Ticket arbeiten, das geht doch, da kann man die restlichen sieben Stunden für Miete und Essen verprassen. Das ist doch alles wirklich schön.
Ich sehe optimistisch in dieses Jahr. Ich habe so viel Hoffnung in mir drin. Die Menschen interessieren sich wieder für die Politik, sie gehen auf die Straße und vielleicht gehen sie auch wählen. Wenn wir hier in Hamburg Bürgerschaftswahlen haben, vielleicht wählen sie die Guten, die uns voranbringen. Ich weiß jetzt auch nicht, wer das wäre, aber die Leute wissen das, die haben immer schon die Richtigen gewählt, die kennen sich aus, die sind sensibel und besorgt und wissen, was hilft. Und vielleicht, vielleicht, aber das wage ich nicht zu hoffen, wird ja hier in Hamburg Geschichte geschrieben und das Kiffen legal. Ich blicke ganz, ganz hoffnungsvoll dem neuen Jahr ins saubere Gesicht und warte mal ab. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.