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Archiv-Artikel

Zensur will weg

Die Chefin der Filmzensur in Schweden ist zurückgetreten. Sie will ihre Behörde auflösen und darf nicht

Es war Ende letzter Woche, als bekannt wurde, dass Gunnel Arrbäck, Chefin der staatlichen schwedischen Filmzensur, zum 1. November gekündigt hat. Sie zieht diese Konsequenz, nachdem sie seit Jahren vergeblich dafür gekämpft hatte, dass ihre Behörde aufgelöst wird. „Unsere Arbeit ist hoffnungslos“, erklärte sie erst vor einigen Tagen in einem Interview: „Welche Kriterien sollen wir eigentlich anlegen?“ Wegen Uneinigkeit unter den politischen Parteien müssen weiterhin vier amtliche Filmzensoren jeden Film ansehen, bevor dieser in einem schwedischen Kino anlaufen darf.

Eine Zensurbehörde? In Schweden gibt es sie seit 96 Jahren. Es ist die älteste Filmzensur der Welt. Die Bilder hatten gerade erst laufen gelernt, da befürchtete man in Stockholm bereits, dass diese womöglich schädlich für die Moral des Volkes sein könnten. Im Lauf der Jahre wurde Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ wegen möglicher aufrührerischer Wirkung auf die Arbeiterschaft verboten und Chaplins „Großer Diktator“ stand bis 1945 mit Rücksicht auf die Beziehungen zu „fremden Staaten“ auf dem Index. Nach dem Krieg galt es, die SchwedInnen vor Sex und Gewalt zu schützen. So passierte das „Kettensägenmassaker“ von 1971 auch 23 Jahre nach der Premiere nur in zensierter Form, und noch 1989 galt es als „physisch und psychisch zu erniedrigend“, wie Kevin Kline in „Ein Fisch namens Wanda“ Michael Palin Pommes frites in die Nase steckt.

Zuletzt hat das „Biografbyrå“ vor 11 Jahren in einem nichtpornografischen Film geschnippelt. Das war Scorseses „Casino“, wo herausgeschnitten wurde, wie der Mafioso Nicky Santoro den Kopf eines Gegners in einem Schraubstock fixiert. Seither sind die Zensurlisten eine langweilige Lektüre geworden: „Prüfnummer 144531: „The Bourne Ultimatum“, Schnitte: 0; Prüfnummer 144532: „Stardust“, Schnitte: 0, lauten die aktuellsten Einträge. Fand man seit 1996 nichts, was das vom Gesetzgeber vorgegebene Kriterium „verrohend“ erfüllte? Das sei nicht der Punkt, antwortet Arrbäck: „Vor allem gibt es ja keine Forschung, die beweist, dass jemand durch einen Film ‚verroht‘ werden kann. Dass sich überhaupt der grundlegende moralische Maßstab von Menschen durch Anschauen eines Kinofilms ändert.“

Doch Arrbäck durfte ihren Laden nicht dichtmachen. Die zur Regierungskoalition gehörenden Christdemokraten legen sich quer. „Menschen werden selbstverständlich von Filmen beeinflusst“, meint deren kulturpolitischer Sprecher Dan Kihlström: Man brauche deshalb die „normierende Rolle“ der Zensurbehörde, damit Regisseure und Verleihe „wissen, was gilt“. Unsinn, meint seine liberale Parlamentskollegin Cecilia Wikström: „In einer Zeit, wo im Prinzip jeder Fünfjährige sich mit einem Mausklick aus dem Internet was auch immer herunterladen kann, sollte man seine Energie statt auf Filmzensur lieber auf dieses Problem verwenden.“

REINHARD WOLFF