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Archiv-Artikel

1001 Wege Sex zu machen ohne daran Spaß zu haben (Reprise)

POP Die wohlklingende Antithese zu allem, was mit deutschsprachiger Musik assoziiert wird: Die Zimmermänner veröffentlichen ein neues Album und eine Retrospektive

VON ALEX BECHBERGER

Popmusik mit deutsch gesungenen Texten? Wer denkt da nicht sofort an die Neue Deutsche Welle, jene westdeutsche Szene von Künstlern und Bands, die Ende der Siebziger aus den Lektionen von Punk und New Wave etwas Eigenständiges geformt haben. Schon bevor geschäftstüchtige Plattenfirmen aus dieser Kreativexplosion Anfang der Achtziger Kapital schlugen und Rockmusiker als NDW-Clowns in die ZDF-„Hitparade“ schleusten, werkelten in Hamburg-Winterhude zwei Schulfreunde an ihrer ureigenen Version.

Beflügelt von der 2-Tone-Welle in Großbritannien, coverten sie jamaikanische Ska-Klassiker und versahen diese mit deutschen Texten. Als Ede & die Zimmermänner veröffentlichten Timo Blunck und Detlef Diederichsen zusammen mit Bluncks Schwester Rica und einigen anderen 1980 eine Debütsingle auf Alfred Hilsbergs Label Zickzack.

35 Jahre nach der Bandgründung sitzen Detlef Diederichsen und Timo Blunck im Berliner Haus der Kulturen der Welt und halten Rückschau. Diederichsen (der auch für die taz schreibt) ist dort seit 2008 für das Musikprogramm verantwortlich. Blunck betreibt seit Langem in Hamburg das Aufnahmestudio Bluwi.

Ein Hund namens Arbeit

Auf dem Label Tapete erschien kürzlich eine Zimmermänner-Werkschau: „Die Wäscheleinen waren lang“ ist eine CD-Box mit fünf Alben inklusive aller offiziellen Veröffentlichungen, rarer Demoaufnahmen und einem bis jetzt unveröffentlichtem Konzertmitschnitt von 1984. Gleichzeitig veröffentlicht das Duo mit „Ein Hund Namens Arbeit“ auch ein aktuelles Album mit neuen Songs, bei denen Rica Blunck wieder mit von der Partie ist. Ein schöner Anlass, die Künstler zu fragen, wie es nach der kurzlebigen Ska-Phase weiterging.

„Die Idee war 1981, Pop mit deutschen Texten zu machen. Das gab es hierzulande nicht. In England wurde Rock 1976 von den Sex Pistols gekillt und also galt es, etwas Neues zu schaffen. Von dort kam damals eine neue Pop-Idee, auf der wollten wir aufbauen“, erzählt Diederichsen. Nach einer weiteren Single erschien 1982 das Zimmermänner-Debütalbum mit dem verwirrenden Titel „1001 Wege Sex zu machen ohne daran Spaß zu haben“, zeitgleich mit „Pelican West“, dem Debütalbum der britischen Band Haircut 100, und dem epochalen Werk „You Can’t Hide Your Love Forever“ der schottischen Band Orange Juice. Augenscheinlich ist nicht nur eine gemeinsame Vorliebe der drei Bands für Melodien, Bläserarrangements und soften Funk. Auch der preppy Kleidungsstil der Musiker auf den Fotos jener drei Albumcover sticht sofort ins Auge. In Westdeutschland begann gleichzeitig auch die Ära von CDU-Kanzler Helmut Kohl. Zum Soundtrack jener Jahre wurde der Lärm der Westberliner Band Einstürzende Neubauten und anderer sogenannter „Genialer Dilletanten“ deklariert. Eine Nachbarschaft, in der sich Die Zimmermänner allerdings nicht sonderlich wohlfühlten. „Wir fanden geniale Könner viel interessanter. Auch wenn wir keine Virtuosen waren, standen wir zur Musik. Unser Zugang war der von Sammlern und Fans, wir wollten unseren Helden nacheifern.“

In der Tat ist es beachtlich, mit welcher Eleganz sich die Zimmermänner bereits 1982 durch musikalisches Geheimwissen manövrieren. Bei dem Song „Dam-bi-ja-di-jam-bam-bam“ (1982) ertönen als In- und Outro die ersten und letzten Akkorde von „Care Of Cell 44“, erschienen auf dem Album „Odessey and Oracle“ der britischen Band The Zombies. Immer wieder klingen bei den Zimmermännern Anleihen an Bossa nova und US-Vokalgruppen der Sechziger durch.

„Wenn wir außerhalb von Hamburg aufgetreten waren, sind wir stets in die Plattenläden ausgeschwärmt und übertrumpften uns mit unseren Entdeckungen … gemeinsamer Nenner war mehrstimmiger Gesang. Der gefiel uns so gut, dass wir uns entschieden, ebenfalls mit Chorgesängen zu arbeiten. Das macht ja bis heute niemand in Deutschland. Außer vielleicht die Prinzen.“

Polohemden, Bundfaltenhosen und V-Ausschnitt-Pullover. Wie kam das Zimmermänner-Konzept der Subversion durch Affirmation in den bundesdeutschen Punk-Schuppen jener Zeit an? „Die Leute haben uns gehasst. Es gab Konsens darüber, wie man rumzulaufen hatte. Der Preppyschick war unsere Art von Provokation. Außerdem haben wir die Öffentlichkeit dadurch verstört, dass wir konstruktiv mit Songwriting im klassischen Sinne gearbeitet haben. ‚Das kann man doch nicht ernst meinen!‘ Der dekonstruktivistische Ansatz von Timos anderer Band Palais Schaumburg war damals eher Konsens.“

Eine Aussage Diederichsens, die beim Betrachten des aktuellen Videos „Die Erforschung Neuseelands“ interessant nachhallt. Ein derber Beat, unterlegt mit Ragga-Toasting ungeklärter Herkunft und Diederichsens sonorem Sprechgesang – so könnte Palais Schaumburg im Jahr 2014 durchaus klingen, hätten sie den Mut gehabt, ihr Live-Comeback 2011 mit einem neuen Album zu unterfüttern.

„Ein Hund Namens Arbeit“, das neue Zimmermänner-Album, klingt insgesamt heterogener. Das Thema Paarbeziehungen in allen denkbaren Facetten weicht erwachseneren Sujets wie Gentrifizierung und prekärer Arbeitswelt. „Ein Künstler, den wir beide verehren, ist John Hartford. Der hat mal gesagt, Stil fußt auf Selbstbeschränkung, und in seinem Sinne haben wir weder Stil noch Grenzen. Wir finden Musik gut, wenn sie gut ist. Als Deutscher kann man ohnehin nicht von musikalischen Wurzeln sprechen. Einflüsse sind unsere Plattensammlungen und womit wir uns beschäftigt haben, insofern wäre es beinahe unehrlich, nur eine Art von Musik zu machen.“

■ Die Zimmermänner: „Die Wäscheleinen waren lang“; „Ein Hund namens Arbeit“ (beide Tapete/Indigo)

■ Live: Eine Tour ist für April geplant