: Hauptziel: Rückfälle vermeiden
Hamburg startet ein Modellprojekt für minderjährige Sexualstraftäter. Vorreiter ist der Verein „Wendepunkt“ in Pinneberg, wo Jungen in einer Therapie ihre Täterrolle aufarbeiten. Für die Teilnahme genügt der Verdacht
In Hamburg sollen Minderjährige, die einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verdächtigt werden, drei Jahre lang pädagogisch und therapeutisch unterstützt werden, damit sich ihre Taten nicht wiederholen. Denn nach neuen Erkenntnissen, so CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram, „haben bis zu 50 Prozent der erwachsenen Sexualstraftäter bereits im Jugendalter sexuell abweichende Handlungen begangen“.
Auslöser für das von der CDU initiierte, bundesweit einmalige Projekt war unter anderen der Fall einer Neunjährigen, die 2005 von einem Nachbarjungen vergewaltigt und ermordet wurde. Im Jahr 2006 wurden rund 60 tatverdächtige Minderjährige von der Polizei an das Hamburger Familieninterventionsteam gemeldet.
Das Interventionsteam soll nun zusammen mit dem aus Pinneberg stammenden Jugendhilfeträger „Wendepunkt e. V.“ das Projekt umsetzen. Der dortige Projektleiter Bernd Prise spricht statt von „Sexualstraftätern“ lieber von „sexuell übergriffigen Minderjährigen“. „Wir haben bereits Erfahrungen in der ambulanten Rückfallprophylaxe seit 2001“, sagt der frühere Pro-Familia Mitarbeiter. 160 Jungen hätten seither an der „delikt-orientierten Täterarbeit“ teilgenommen, in der sie bis zu anderthalb Jahre überwiegend in Gruppen, teilweise in Einzeltherapie ihr Verhalten aufarbeiten. Die Jungen kämen unter Druck von außen. Teils würden sie von Eltern, teils vom Richter geschickt, berichtet Priebe. Er arbeite aber nicht mit Jungen, die sagen, sie seien es nicht gewesen.
Zu Beginn finde eine exakte Diagnostik statt, um die Tat und die Rückfallwahrscheinlichkeit einzuschätzen. Es gebe einen „Behandlungsvertrag“, in dem sich die Jungen eigene Ziele setzen könnten, wie beispielsweise mehr Selbstvertrauen aufzubauen. „Es ist nicht nur ein Büßerseminar. Es hat auch sexualpädagogische Elemente.“
Eine statistische Auswertung über den Erfolg der Arbeit in Schleswig-Holstein gebe es leider nicht. Er habe aber schon den Eindruck, dass mit den Jungs „etwas passiert“, sagt Priebe. Als freier Träger hat Wendepunkt keinen Zugriff auf die Daten. Das Hamburger Projekt wird nun vom Institut für Sexualpädagogik an der Uniklinik Eppendorf begleitet, das mittels einer Sondergenehmigung die Daten bekommen soll.
Betroffene können sich direkt an Wendepunkt e. V. wenden und eine zunächst anonyme Beratung und Diagnose in Anspruch nehmen. Wenn es zur Therapie kommt, werden die Daten ans Familien-Interventionsteam gemeldet.
Die Hamburger Jugendpolitikerin Christiane Blömeke von den Grünen sieht darin ein Problem. Da es für die Meldung ausreiche, wenn ein Minderjähriger verdächtig sei, könne dies zu einer Stigmatisierung führen. „Ich habe keine Kritik an Wendepunkt, die machen gute Arbeit“ , sagt Blömeke. Sie vermisse aber ein Konzept, dass auch Prävention vor der Tat, Fortbildung von Erziehern und einen Täter-Opfer-Ausgleich umfasse.
KAIJA KUTTER
Wendepunkt e. V. ist unter 040-702 98 761 zu erreichen